Lutz Hachmeister

Der Journalist, Medienwissenschaftler und Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister prägte die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurse zu Themen wie Journalismus, Medientheorie und Medienpolitik. Dabei war sein Blick nicht nur auf den journalistischen und medialen Mainstream gerichtet; ihn interessierte vor allem der aktuelle Strukturwandel im Medienbereich durch Internet und Smartphones: die Plattformen, Portale, Suchmaschinen oder Streaming-Services. Und die Auswirkungen dieser technologischen Medien-Evolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie auf die Medien- und Meinungsfreiheit.

Lutz Hachmeister wurde am 10. September 1959 in Minden geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Münster und Berlin. Promoviert wurde er 1986 in Münster mit einer Arbeit zur „Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland“.

Von 1987 bis 1989 arbeitete er als Medienredakteur beim Berliner Tagesspiegel und ging von 1989 bis 1995 nach Marl/NRW als Direktor des ► Adolf-Grimme-Instituts, das die jährlichen nationalen Grimme-Preise für hochwertige Fernsehsendungen vergibt. In dieser Zeit gründete er in Köln auch das internationale Filmfestival „Cologne Konferenz“, wo Kino- und Fernsehfilme aus aller Welt präsentiert werden und anhand dieser dort gezeigten Werke medienpolitische und ästhetische Debatten in Werkstattgesprächen stattfinden. Dieses Festival leitete Hachmeister bis 2001.

1999 hatte er sich mit einer ebenso kenntnisreichen wie kritischen Studie über den „NS-Gegnerforscher“ und SS-Führer Franz Alfred Six an der Universität Dortmund für Journalistik habilitiert und begonnen, dort Mediengeschichte und -politik zu lehren. Schon zuvor konzipierte er dokumentarische TV-Formate und Filme, wie „Das Gefängnis – Landsberg und die Entstehung der Republik“ – über jene bayerische Justizvollzugsanstalt, in der Hitler von 1923 bis 1924 insgesamt 264 Tage lang inhaftiert war und seinem Mithäftling Rudolf Heß das Buch „Mein Kampf“ diktierte. Hachmeister produzierte zig weitere Film-Dokumentation, etwa über Schleyer, Goebbels, ► Reich-Ranicki oder Wallraff.

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Lutz Hachmeister (rechts) während eines Interviews mit Henry Kissinger in New York am 9.10.2007

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Vor dem Wirkungsverlust und dem Auflagenrückgang der gedruckten Medien warnte Hachmeister schon 2007 in einem Interview mit DIE WELT: „Die gedruckte Presse, um bei ihr zu bleiben, wird nicht mehr wegen der Nachrichten oder der herkömmlichen Leitartikel gelesen, schon gar nicht von jüngeren Leuten. Die Leser wollen Reporter und Kolumnisten, die durch einen eigenen Stil auffallen. Sie wollen neue journalistische Helden. Das sind gewiss rare Talente, die man aber finden und fördern muss. Wahrscheinlich aber müssen sich die Manager des Journalismus von heute zu sehr mit ökonomischer Anpassung beschäftigen.“ Hachmeister hat leider Recht behalten – in den folgenden Zeiten der Transformation wurde viel zu wenig in die Zukunftssicherung der klassischen Qualitätsmedien investiert.

Zu Zeiten von ► Augstein, ► Bucerius oder ► Nannen wurde intensiver recherchiert und informiert, dafür weniger Beiträge als heute aus den Archiven zur Unterhaltung der Leser immer wieder neu aufbereitet – demnächst womöglich durch KI Künstliche Intelligenz. So ist vielerorts schon viel Profil verloren gegangen. Das galt für Hachmeister auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wo Publizisten und Reporter wie einst ► Hajo Friedrichs, ► Peter Scholl-Latour oder Stefan Troller rarer geworden sind. Dominant wurde inzwischen ein TV-Einerlei: fünf Talkshows pro Woche, an jedem Tag Krimis – SOKOs aus Köln, Leipzig, München, Stuttgart oder Wien, nicht zu vergessen weitere Krimisendungen aus Hamburg, Münster oder Rosenheim. Dann Quizsendungen bis zum Abwinken und ausführliche Berichte über jede denkbare Sportart und -veranstaltung. Entspricht das noch dem gesetzlichen Programmauftrag für die öffentlich-rechtlichen Medien? Hachmeister hatte da Zweifel.

Große Sorge bereitete ihm auch die zunehmende Abhängigkeit moderner Medien von Multimilliardären wie Jeff Bezos (Washington Post), John Henry (Boston Globe), Rupert Murdoch (Vox News), Mortimer Zuckerman (New York Daily News) oder aktuell Elon Musk, der sich mit seinem unlängst erworbenen Netzwerk X – früher Twitter – ähnlich unkritisch in den Dienst von Trump stellte wie Murdochs Vox News, und der in Brasilien versuchte, den abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro wieder an die Macht zu bringen. Nach Meinung von Hachmeister hat die Nachrichtenproduktion in vielen großen Medienkonzernen an Objektivität verloren - was die Pressefreiheit aushöhlt, Gesellschaften zu spalten hilft und so letztendlich die Demokratie gefährden kann.

Völlig unerwartet starb Lutz Hachmeister am 26. August 2024 im Alter von nur 64 Jahren in Köln.

Sein Nachfolger im Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, Leonard Novy, erinnerte in einem Nachruf an Hachmeisters Bedeutung und seine Lebensleistung:

„Den plötzlichen Tod von Lutz Hachmeister und die Lücke, die er hinterlässt, werden wir alle erst mit Abstand begreifen. An dieser Stelle seinen herausragenden Intellekt, seine unerschöpfliche Neugier, sein visionäres Gespür für Themen und seine Sprachkunst zu preisen, erübrigt sich fast von selbst – sie waren offensichtlich. Keine Worte könnten ihnen gerecht werden. Unberechenbar, aber beständig brillant, streitbar, aber als Autorität unumstritten, ein öffentlicher Intellektueller par excellence und ein sehr privater Mensch: Lutz’ Person entzog sich tradierten Kategorien, sein Schaffen sprengte Silos, ohne sich jemals Opportunitäten oder Moden zu unterwerfen. Geschichte und Geschichtspolitik, Journalismus, Philosophie und Medientheorie, Rundfunk- und Medienpolitik, Plattformen, „Twitterpolitik“ und KI – nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Vielseitigkeit hat er wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurse zu diesen Themen nachhaltig geprägt. Kaum jemand im deutschsprachigen Raum hat die Folgen der Medien- und Technikevolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in ihren komplexen Wechselwirkungen so früh, so umfassend erfasst. Wann immer er sich etwa – oft lustvoll pointiert, immer kenntnisreich – mit Interventionen zum Strukturwandel der Medienpolitik oder zur Reform des um eine „dritte Säule“ zu ergänzenden dualen Rundfunksystems zu Wort meldete, war ihm die Aufmerksamkeit der Szene gewiss. Die Bandbreite seines Schaffens war enorm – er war Wissenschaftler und Journalist, Film- und Buchautor, Unternehmensberater, Initiator eines internationalen Filmfestivals und Institutsdirektor.“

 

(hhb)

 

Quellen

Kai-Hinrich Renner: Der Journalismus braucht Helden / DIE WELT vom 1.7.2007

Lutz Hachmeister: Arbeit, Familie, Gott und Vaterland / NZZ 3.8.2007

Lutz Hachmeister: Das ist ein gefährliches Hobby – über Dokumentarfilmer / Tagesspiegel 19.12.2012

Leonard Novy: Wir trauern um Lutz Hachmeister / Institut für Medien- und Kommunikationspolitik

Gregor Dotzauer: Der Mediendenker - Zum Tod von Lutz Hachmeister / Tagesspiegel vom 2.9.2024

Marc Bartl: „Völlig unerwartet“: Medienforscher Lutz Hachmeister ist tot / Kress News vom 2.9.2024

Kai Burkhardt: Lutz Hachmeister, Bekämpfer der Eitelkeiten / WELT Kultur 3.9.2024

Lutz Hachmeister ist tot / politik & kommunikation am 3.9.2024

Jürgen Kaube: Neugier war seine Berufung / FAZnet vom 6.9.2024

 

Bücher

Lutz Hachmeister: Theoretische Publizistik Studien zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Berlin: Volker Spiess 1987

Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. München: C. H. Beck 1998

Lutz Hachmeister, Friedemann Siering: Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945. München: C. H. Beck 2002

Lutz Hachmeister: Nervöse Zone: Politik und Journalismus in der Berliner Republik. München: DVA 2007

Lutz Hachmeister (Hrsg.): Grundlagen der Medienpolitik. Ein Handbuch. München: DVA 2008

Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS. Berlin: Propyläen 2014

Lutz Hachmeister: Hannover – ein deutsches Machtzentrum / München DVA 2016

Lutz Hachmeister, Christian Wagener, Till Wäscher: Wer beherrscht die Medien?  Die 50 größten Medien- und Wissenskonzerne der Welt / Herbert von Halem Verlag 2022

 

Filme

Schleyer – Eine deutsche Geschichte / 2003 für den NDR

Das Goebbels-Experiment / 2005

Ich, Reich-Ranicki / 2006

Freundschaft! Die Freie Deutsche Jugend / 2009

Der Hannover-Komplex / 2015

Wallraff war hier / 2017 für RTL

Günter Wallraff, der Rollenspieler / 2022 für RTL