Die Pressefreiheit in Deutschland in Gefahr? Ach was. In Ungarn und Polen ist sie in Gefahr. In Russland und in der Türkei ist sie so gut wie tot, in China hat es sie nie gegeben, und in Nahost müssen westliche Journalisten mit ihrer Enthauptung rechnen. In Italien ist zwar Berlusconi weg, aber sein Medienimperium noch da. Und in den USA erleben wir gerade, wie sich der frisch gewählte Präsident mit Hilfe von Twitter und selbst erfundener alternativer Fakten an der Ausschaltung der lästigen vierten Gewalt versucht.
Aber in Deutschland? Geht von Merkel, Gabriel, Steinmeier eine Gefahr für die Presse aus? Jede Folge der "heute show" belehrt uns stets aufs Neue, dass nicht einmal Seehofer-Söder, ja nicht einmal die AfD eine ernsthafte Gefahr für die Pressefreiheit in Deutschland darstellen. Daran ändern auch vereinzelte Pegidioten nichts, die Reportern das Mikro oder die Kamera aus der Hand schlagen.
Nein: Soviel Pressefreiheit wie in Deutschland war in diesem Land noch nie.
Also alles gut? So einfach ist es auch wieder nicht, denn bedroht ist die Pressefreiheit immer: von Politikern, die wie einst der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch, mit ihrer bloßen Macht einen nicht genehmen Chefredakteur aus dem ZDF werfen oder wie der ehemalige CSU-Pressesprecher Hans Michael Strepp in der heute-Redaktion anrufen, um einen Bericht über einen SPD-Parteitag zu verhindern.
Behindert wird die Ausübung des Rechts auf Pressefreiheit schon immer von der Macht des großen Geldes, der Macht der Lobbyisten und von Pressefreiheitsverhinderungs-Profis, die sich Pressesprecher oder PR-Chef nennen und recherchierende Journalisten nach allen Regeln der Kunst austricksen durch die Strategien des Eigenlobs, Beschönigens, Beschwichtigens, Vertuschens, Leugnens bis hin zum professionellen Lügen.
Aber damit können Journalisten-Profis umgehen. So lange sie nur gut ausgebildet sind, genügend Rückhalt in der Redaktion und im Verlag haben und über eine eigene Haltung und einen ehrlichen Charakter verfügen, werden sie in der Lage sein, Gegenstrategien zu entwickeln, mit deren Hilfe sie die Wahrheit doch noch herausbekommen oder sich ihr zumindest annähern. Und jener CSU-Pressesprecher, der im Oktober 2012 per Anruf verhindern wollte, dass das ZDF über den Parteitag der Bayern-SPD berichtet, hatte die Erfahrung machen müssen, dass das, was früher ging und üblich war und im Bayerischen Rundfunk vielleicht sogar heute noch geht, im ZDF nicht mehr geht. Der Mann musste einige Tage später seinen Hut nehmen, weil das ZDF nicht kuschte, sondern den Vorfall öffentlich machte.
Und doch ist die Pressefreiheit auch in Deutschland bedroht wie noch nie.
Vordergründig von der neuen mächtigen Viererbande Amazon, Apple, Facebook, Google. Im Hintergrund aber von einem mächtigen Gegner, den die meisten Redaktionen gar nicht auf dem Schirm haben: dem gleichgültigen, politisch desinteressierten Konsumbürger und Geiz-ist-geil-Charakter, der gar kein Bedürfnis mehr nach unabhängiger Information, Aufklärung, Kritik, Einordnung und Hintergrundberichterstattung hat. Und wo er doch noch ein kleines Restbedürfnis haben sollte, verschwindet auch dieses, wenn ihm zugemutet wird, für Produkte der Pressefreiheit zu zahlen. Wozu auch? Kann man doch alles gratis im Netz abgreifen. Und wer gratis nichts herausrücken will, soll sein Zeug halt behalten. Gibt ja genügend andere, die einen kostenlos bedienen.
Die Schicksalsfrage der Presse und unserer Demokratie lautet daher: Wer soll künftig für journalistische Qualität bezahlen? Wenn wir darauf nicht bald eine Antwort finden, stirbt zuerst die freie Presse, danach die Demokratie.
Ich habe nicht den Eindruck, dass den politischen Parteien die Brisanz des Problems bewusst ist. Ich kenne nicht einmal die Namen der Medienpolitiker von CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken, und kann mich nicht entsinnen, von denen jemals etwas Substanzielles zur Zukunft der Pressefreiheit gehört zu haben.
Ich höre nirgends jemand sagen, dass eine Demokratie, die zu wenig Demokraten und zu viele Konsumbürger und Pfennigfuchser hat, dem Untergang geweiht ist. Ich höre keinen Bildungspolitiker sagen, dass das Bedürfnis nach Kritik, Aufklärung und qualifizierter Information, das jeden Demokraten auszeichnet, durch Bildung und Erziehung in der Familie und in der Schule geweckt werden muss, da es offenbar nicht von selbst entsteht und es niemand von Geburt an mitbringt. Und ich höre keinen Bundeskanzler und keinen Bundespräsidenten sagen, dass Qualität Geld kostet, journalistische Qualität für den Bestand der Demokratie lebenswichtig ist und darum von Bürgern irgendwie bezahlt werden muss, notfalls durch Steuern.
Bei diesem Gedanken - steuerfinanzierter Journalismus! - schreien sehr viele stolze Journalisten laut auf, probieren daher gegenwärtig sehr viele Dinge aus, um irgendwie über die Runden zu kommen, aber bis jetzt hat noch keiner herausgefunden, wie seriöser Qualitätsjournalismus in all seiner Vielfalt dauerhaft erhalten werden kann, wenn die Werbung als Finanzierungsquelle weitgehend ausfällt und die Zahl der zahlungsbereiten Abonnenten wegbricht. Öffentlich-rechtlich subventioniert werden möchten sie auf keinen Fall. Im Gegenteil, sie möchten auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen am liebsten abschaffen und geben sich der Illusion hin, dass sich schon genügend Leute finden werden, die bereit sind, ihnen ihre Leitartikel, Reportagen, Feuilletons einzeln abzukaufen.
Da wünsche ich viel Glück und möchte außerdem fragen: Was macht es eigentlich für einen Unterschied, ob man durch Werbung oder durch Steuern subventioniert wird? Müssen sich Lehrer, Pfarrer, Polizisten, Richter, Politiker, die schon immer aus Steuern bezahlt werden, dafür genieren oder gar schämen? Was ist ehrenrühriger und gefährlicher für die eigene Unabhängigkeit: Vom Staat für seine Leistung Geld zu nehmen oder mit seiner Leistung hausieren zu gehen? Wer ist abhängiger: der steuer- oder der werbefinanzierte Journalist? Oder der Journalist von Googles (Amazons, Facebooks) Gnaden?
Zu guter Letzt: Dass man von denen, die in der Vergangenheit - oft widerwillig - einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung einer freien Presse geleistet haben, also von der werbungtreibenden Wirtschaft und den hinter ihr stehenden Unternehmen, kein Wort der Besorgnis über die Pressefreiheit hört, kann man verstehen, aber besteht diese Branche wirklich nur aus lauter internetbesoffenen Koofmichs, die keinen Gedanken an unsere Demokratie verschwenden? Oder gibt es dort nicht doch auch Kaufleute, die sich bewusst sind, dass sie nicht nur Kaufleute, sondern auch Demokraten sind, die gelegentlich auch mal an die Zukunft ihres Landes und die Zukunft ihrer Kinder denken?
Letztere werden uns vielleicht irgendwann mal fragen: Wo wart ihr eigentlich, als die Pressefreiheit vor die Hunde gegangen ist? Was habt ihr eigentlich gemacht, als die Demokratie den Weg der Berlusconisierung und Vertrumpelung bis hin zu ihrer Selbstabschaffung gegangen ist?
"Soviel Pressefreiheit wie in Deutschland war in diesem Land noch nie", schrieb der Publizist Christian Nürnberger in seinem Essay für kress.de.
Dieser Beitrag ist Teil der Kress-Reihe zum Thema Pressefreiheit: Publizisten antworten Kress: Wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland?
Christian Nürnberger
1951 in Lauf an der Pegnitz geboren
Mittlere Reife und Abschluss einer Lehre als Physiklaborant
vier Jahre bei der Bundeswehr
über zweiten Bildungsweg an die Uni
vier Semester evangelische Theologie, Philosophie und Pädagogik
Hamburger Henri-Nannen-Schule
Lokalreporter bei der Frankfurter Rundschau
Redakteur beim Wirtschaftsmagazin Capital
Textchef bei highTech
Seit 1985 verheiratet mit der ZDF-Moderatorin Petra Gerster
Seit 1990, nach der Geburt des ersten Kindes, freier Autor
(unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit) und Publizist
Für „Mutige Menschen: Widerstand im Dritten Reich“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 ausgezeichnet. In der Begründung der Jury hieß es, Nürnberger gelinge es, „durch einen gekonnt schlichten, fast schon mündlichen Erzählduktus, eine Spannung aufzubauen, die vom ersten bis zum letzten Satz zu fesseln vermag“. Hervorgehoben wurde auch „die herausragende literarische Qualität der biografischen Erzählung“.
Gastspiel in der Politik als Bundestagskandidat der SPD für den Wahlkreis Roth und Nürnberger Land. Unter Bayerns SPD-Kandidaten das fünftbeste Erststimmen-Ergebnis erzielt, aber wegen des schlechten Listenplatzes kein Einzug in den Bundestag.
Lebt mit seiner Familie in Mainz
Website von Christian Nürnberger