Prof. Dr. Tanjev Schultz, Institut für Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das Haus der Pressefreiheit hat anlässlich des heutigen "Internationalen Tags der Pressefreiheit" den Medienwissenschaftler Prof. Dr. Tanjev Schultz am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur aktuellen Situation der Medien in Zeiten des Facebook-Datenskandals, Fake News und Hate Speech befragt. Das Institut für Publizistik der Uni Mainz analysiert jedes Jahr im Rahmen einer repräsentativen Studie das Vertrauen der Bevölkerung in die Mediengattungen und die relevanten Rahmenbedingungen.

 

HdP: Das Vertrauen der Deutschen in die Medien hat sich der jüngsten Studie "Medienvertrauen in Deutschland 2017" zufolge wieder etwas stabilisiert. Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Facebook-Datenskandals auf das generelle Vertrauen der Bevölkerung in Medien ein?

Schultz: Der Datenskandal befeuert sicherlich das Misstrauen gegen Facebook und andere Internet-Unternehmen. Viele Menschen wissen aber zu unterscheiden zwischen Facebook und etablierten journalistischen Anbietern, wie ARD, ZDF, FAZ oder SZ, auch wenn diese manche Beiträge über Facebook verbreiten. Unsere jüngste repräsentative Befragung der Bürger in Deutschland wurde Ende des Jahres 2017 noch vor dem Bekanntwerden des Datenskandals durchgeführt. Dennoch haben wir in unserer Mainzer Langzeitstudie „Medienvertrauen“ bereits einen Absturz des Vertrauens in „das“ Internet registriert. Meine Kollegen und ich interpretieren das als Effekt der anhaltenden Debatte über Fake News und Hasskommentare im Netz. Vor allem Nachrichten, die in den Sozialen Netzwerken kursieren, werden von den meisten als wenig vertrauenswürdig angesehen. Viele Nutzer sind sich bewusst, dass sie dort vorsichtig sein müssen. Das betrifft zunächst einmal die Seriosität der Informationen. Der Umgang mit den eigenen, persönlichen Daten ist dann noch ein weiteres Thema und Problem. Viele Menschen wirken da auf mich allerdings fatalistisch, nach dem Motto: „Meine Daten können die ruhig haben.“ Oder: „Man kann ohnehin nichts dagegen tun.“

 

HdP: Viele Bürger haben sich die Vorwürfe gegenüber den Medien im Rahmen der Lügenpresse-Debatte zu eigen gemacht. Sind den Deutschen Ihrer Ansicht nach überhaupt noch der Wert und die Funktion der freien Presse für die Gesellschaft und Demokratie bewusst?

Schultz: Die Mehrheit der Bürger weiß die etablierten Qualitätsmedien nach wie vor zu schätzen. Fast drei Viertel der Befragten in unserer Studie bezeichneten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „sehr“ oder „eher vertrauenswürdig“. Zwei Drittel sprachen den Tageszeitungen ihr Vertrauen aus. Nur jeweils fünf Prozent misstrauten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Tagespresse grundsätzlich. Dennoch gibt es einen harten Kern von Kritikern, die sich nicht nur über den einen oder anderen Beitrag ärgern, wie wir alle das tun, sondern ganz pauschale „Lügenpresse“-Vorwürfe erheben. Der Aussage, dass die Bevölkerung von „den Medien systematisch belogen“ werde, stimmten Ende 2017 immerhin 13 Prozent der Befragten zu. Ende des Jahres 2016 waren es allerdings noch 19 Prozent. Dass die Medien und die Politik „Hand in Hand“ arbeiten würden, „um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren“, glauben nun 20 Prozent. Ein Jahr zuvor waren es 27 Prozent. Trotz des Rückgangs: Diese Werte zeigen, dass es weiterhin ein Problem gibt in einem nennenswerten Teil der Bevölkerung. Wir haben in unserer Studie jedoch auch festgestellt, dass sich viele Menschen durch die aufgeheizte Debatte über die Medien und den Ärger über „Lügenpresse“-Vorwürfe offenbar aufgerufen fühlen, sich gleichsam schützend vor die freie Presse zu stellen und deutlich zu machen: Der Journalismus in Deutschland ist gar nicht so schlecht. Etablierte Medien können, gerade wegen der vielen windigen Internet-Angebote, eine Renaissance als vertrauenswürdige Quellen erleben.

 

HdP: Wird es in Deutschland  immer mehr zu einer Trennung in der Gesellschaft zwischen Nutzern traditioneller Qualitätsmedien und kostenlos nutzbaren digitalen Plattformen kommen?

Schultz: Das kann passieren. Womöglich ist es längst passiert. Da sind diejenigen, die für journalistische Qualitätsprodukte Geld bezahlen. Das kann auch ein Digital-Abo sein. Und da sind diejenigen, die alles kostenlos abgreifen. Für die Medienunternehmen ist es ökonomisch heikel, wenn die Gratis-Kultur bei den Jüngeren dominant bleibt. Für die Demokratie ist es zunächst aber gar nicht so schlimm, wenn die Menschen nichts für gute Informationen bezahlen. Hauptsache, sie nutzte diese überhaupt. Tatsächlich kann man heute, wenn man möchte, kostenlos ganz viel journalistische Qualität abrufen, bis hin zu internationalen Zeitungen. Sie können hier was im Guardian lesen, dort etwas in der New York Times, dann auf Tagesschau.de und bei Spiegel Online oder der SZ, und ganz vieles davon ist gratis. Die Frage ist natürlich: Wie lange geht das noch gut? Wie erwirtschaften die Medien genügend Geld? Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Es gibt Informationsverweigerer, die nichts oder nur noch sehr wenig mitbekommen. Die lesen auch keine seriösen journalistischen Gratis-Angebote im Internet. Die surfen um den Journalismus herum und schnappen nur mal irgendwo etwas auf, unter Umständen nur üble Gerüchte und Desinformationen. Schon vor der Digitalisierung wurde in der Medienforschung über eine „Wissenskluft“ diskutiert zwischen denen, die Medien souverän nutzen, und denen, die abgehängt sind. Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, dass sich in der Digitalisierung diese Kluft nicht vertieft und vergrößert. Deshalb wird es darauf ankommen, beispielsweise in den Schulen nicht einfach nur wie wild Tablets zu verteilen und Digitalanschlüsse zu legen, sondern den kompetenten Umgang mit Quellen zu vermitteln und Begeisterung für guten Journalismus zu wecken.

 

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Prof. Dr. Tanjev Schultz, Professor für Journalismus I (Grundlagen & Strategien) am Journalistischen Seminar des Instituts für Publizistik