Prof. Dr. Horst Pöttker: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland befindet sich in einer Legitimitätskrise

Aufsichtsgremien müssen reale gesellschaftliche Pluralität repräsentieren / Einkommensabhängige Staffelung der Rundfunkbeiträge für mehr Akzeptanz, Gerechtigkeit und Vertrauen / Unangemessen hohe Sichtbarkeit von Sponsoren

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist nicht erst durch die Verfehlungen leitender Mitarbeiter in eine Legitimitätskrise geraten. Seit längerem schon wird kritisch betrachtet, ob er seinem Auftrag der Informationsvorsorge als Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge ausreichend nachkommt, in dem er für die Bevölkerung die Zugänglichkeit einer Vielfalt an jeweils zutreffenden und fairen Informationen gewährleistet. Der emeritierte Journalismus-Professor Prof. Dr. Horst Pöttker, der auch Kuratoriumsmitglied des Internet-Portals www.hausderpressefreiheit.de ist, hat sich nicht erst nach der kürzlich erfolgten Vorlage der Reformvorschläge des Zukunftsrats mit der Notwendigkeit der Reform beschäftigt. Anhand von vier Kritikfeldern wie der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien nach den Kriterien Kompetenz und Unabhängigkeit, Staffelung der Pflichtabgaben nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, Werbefreiheit der Programme und der Reduktion der Programmanzahl hat sich Pöttker kritisch auseinandergesetzt.

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Prof. Dr. Horst Pöttker, emeritierter Professor für Theorie und Praxis des Journalismus an der Technischen Universität Dortmund und Kuratoriumsmitglied des Internet-Portals Haus der Pressefreiheit e.V.

Journalistik - Zeitschrift für Journalismusforschung; Herausgegeben von Stine Eckert, Gabriele Hooffacker, Horst Pöttker, Tanjev Schultz und Martina Thiele; 3-4 | 2023 | 6. Jahrgang

Vollständiger ► Beitrag von Prof. Dr. Horst Pöttker im Magazin „Journalistik" Ausgabe 3-4/2023“

Oberster Maßstab für die Beurteilung war dabei für Pöttker der verfassungsrechtliche Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Meinungsbildung zu fördern und der Demokratie zu dienen. Dieser Auftrag gebe dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Richtung vor, an dem die Rundfunkanstalten ihr Programmangebot messen lassen müssen. Über Richtigkeit und Fairness seiner einzelnen Informationen hinaus ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk per Gesetz Binnenpluralität seines gesamten Programms vorgeschrieben. Das betrifft die Auswahl der Gegenstände, über die informiert oder nicht informiert wird, sowie die Art und Weise, wie berichtet wird. Deshalb können Einschaltquoten, so wünschenswert sie auch sind, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kein maßgebliches Qualitäts- und Steuerungskriterium sein. Da er zudem aus Pflichtabgaben finanziert wird, die im Prinzip jeder Haushalt entrichten muss, darf er seine Ressourcen nicht verschwenden, um eine bunte Vielfalt besonderer Bedürfnisse zu bedienen, sondern muss sich effektiv auf das öffentliche Gut der Informationsvorsorge als seine Kernaufgabe konzentrieren.

Aufsichtsgremien entsprechen nicht dem Pluralitätspostulat

Betrachtet man die aktuell existierenden Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, drängen sich Zweifel auf, ob sie den Erwartungen an ihre Leistungen genügen. Im Hinblick auf das Pluralitätspostulat ist zu bemängeln, dass sie hinsichtlich des Geschlechts, Alter, ethnischer Herkunft, Religion, Sexualität, ostdeutsch/westdeutsch usw. bei weitem nicht der Zusammensetzung der Bevölkerung entsprechen. Außerdem stehen relevante demografische Daten über die Gremien-Mitglieder nicht verlässlich öffentlich zur Verfügung, um sie zur Prüfung der Repräsentativität heranziehen zu können.

Problematischer als die fehlende demografische Proportionalität ist aber noch ein anderes Pluralitätsdefizit: An den Listen der Rundfunkratsmitglieder fällt ein hoher Anteil von Personen auf, bei denen digitale Adressen von anderen Institutionen als Informationsquellen angegeben werden. Gesellschaftliche Pluralität spiegelt sich in den öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien schon deshalb nicht, weil die unorganisierte Bevölkerungsmehrheit dort nicht vertreten ist. Bei den Funktionären in den Aufsichtsgremien kommt neben vereinzelter Abgehobenheit oft noch ein Mangel an Fachkompetenz und Engagement hinzu, weil sie von anderen Aufgaben derart in Anspruch genommen werden, dass sie nur sehr begrenzt in der Lage sind, die Orientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am Gemeinwohl und die auftragsgemäße Qualität seiner Programme zu beobachten und zu garantieren. Für viele ist zudem ihre Position in einem Rundfunkrat nur als ein weiteres prestigeträchtiges »Ehrenamt« zu betrachten.

Um dem Vorwurf des Unter-sich-Bleibens und populistischen Forderungen nach einem Abbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wirksam entgegen zu treten, sollten dessen Aufsichtsgremien nicht mehr nach dem Gewicht anderer Organisationen rekrutiert werden. Sie sollten stattdessen nach den Kriterien proportionaler Pluralität, aber auch Fachkompetenz und persönlicher Unabhängigkeit zusammengesetzt sein.

Beitragszahler künftig einkommensabhängig belasten

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht die einzige der Daseinsvorsorge dienende Institution, die auf gesetzlicher Grundlage und großenteils finanziert durch die Allgemeinheit entsprechende Leistungen vorhält. Die Bereitschaft, für solche Leistungen zu zahlen, beruht nicht zuletzt darauf, dass bei den meisten ein erheblicher Teil der zu zahlenden Beträge wie bei Steuern nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gestaffelt ist. Deshalb wird es als gerecht empfunden und akzeptiert, da Bürger mit hohen Einkommen mehr zur allgemeinen Daseinsvorsorge in Bereichen wie Verkehr, Verwaltung, Bildung, Gesundheit, Justiz oder Kultur beitragen als andere mit geringerem Einkommen – unabhängig davon, ob und wie stark sie die für alle zur Verfügung stehenden Leistungen auch nutzen.

Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird dagegen das nutzungsunabhängige Vorhalten von verlässlichen Informationen durch die Pflichtbeiträge ermöglicht, deren Höhe im Prinzip für alle Haushalte gleich ist (55,08 € im Vierteljahr). Um diesem Legitimitätsdefizit entgegenzuwirken, bietet sich eine einkommensabhängige Staffelung der Rundfunkbeiträge geradezu an. Der Einfachheit halber könnte dabei beispielsweise auf die Steuerbescheide der Finanzämter zurückgegriffen werden. Damit muss bei sorgfältiger finanztechnischer Gestaltung kein Verlust beim gesamten Beitragsaufkommen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbunden sein, womit häufig die Notwendigkeit der Einnahmen aus Werbung und Sponsoring begründet wird.

Verzicht auf Werbe- und Sponsorengelder für mehr Akzeptanz und Vertrauen

Aktuell machen die Einnahmen aus dem Verkauf von Sendezeiten für Werbung zusammen mit Zuwendungen von Sponsoren etwa sechs Prozent des Gesamtbudgets des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Landesmedienanstalten aus. Dessen rund sieben Milliarden Euro werden zum größten Teil (85%) aus den Pflichtbeiträgen der privaten Haushalte finanziert (ARD 2023). Den Programmen ist die geringe Bedeutung der Werbung aber oft nicht anzumerken. So strahlen die Abendprogramme, zumal Sportübertragungen mit hohen Einschaltquoten, allerdings weniger Seriosität aus, da sie vom Selbstlob von Sponsoren durchzogen sind. Außerdem ist das öffentlich-rechtliche Programmangebot vor 20.00 Uhr mit reichlich Werbeschaltungen durchsetzt. Diese Werbe- und Sponsorenunterbrechungen in den öffentlich-rechtlichen Programmen schleifen deren Profil als vertrauenswürdiger Faktor der verlässlichen Informationsvorsorge ab. Sie verwischen den Unterschied zu den kommerziellen Programmen, welche darauf angewiesen sind, möglichst viel Werbung zu möglichst hohen Preisen zu verkaufen und die deshalb sowohl auf persuasive Programmunterbrechungen wie auf hohe Einschaltquoten nicht verzichten können.

Eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte daher auf Werbung sowie auf Sponsorenhinweise im Programm verzichten. Das führt zu der Frage, ob und wie – abgesehen von den Möglichkeiten der Abgabenstaffelung – dadurch bedingte Einnahmeverluste kompensiert werden können. Zurzeit werden aus dem Budget der ARD etwa 70 Hörfunk- und 20 Fernsehprogramme gequetscht (Wikipedia 2023). Dass die despektierliche Metapher ihre Berechtigung hat, zeigt sich unter anderem an den vielen Wiederholungen, mit denen diese Vielzahl von Programmen gefüllt wird. Wiederholungen verursachen weniger Kosten als Neuproduktionen, langweilen aber besonders das Stammpublikum. Ermüdende Wiederholungen sind nur ein Beispiel für Qualitätsmängel in den öffentlich-rechtlichen Angeboten, die auf den nur schwer zu finanzierenden Überfluss an Programmen schließen lassen. Schwerwiegender sind Mängel an professioneller Sorgfalt und Tiefe der Recherche, die nicht zuletzt mit zu knappen Zeitressourcen der beteiligten Journalisten zusammenhängen. Auch der Deutschlandfunk verfällt z. B. anders, als sein seriöses Image glauben macht, in unzutreffende sozialpolitische Klischees, die einen allzu flüchtigen Umgang mit amtlichen Statistiken erkennbar machen. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ohne eigene Recherche kostensparend aufgreift, was andere Medien bereits mitgeteilt haben, ist eine Praxis, die dem Auftrag der Informationsvorsorge diametral widerspricht.

Reduzierung der Programm- und Sendervielfalt

Um die Enge der Finanzierung zu überwinden, bietet sich eine Reduktion der Zahl der Programme und damit auch eine Reduktion der dafür nötigen Verwaltungskosten an. Besonders im Hörfunk widerspricht die hohe Zahl von Spezialprogrammen, die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind, dem Grundversorgungsauftrag. Im Fernsehbereich dürfte die Konkurrenz zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Allgemeinprogrammen sinnvoll sein, wenn sie zur gleichen Sendezeit tatsächlich inhaltliche Alternativen anböten. Darüber hinaus wäre es ausreichend, wenn jede öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ein regional gefärbtes Fernsehprogramm betreibt. Im Hörfunk würde die Hälfte der heute sendenden Programme genügen.

Unbedingter, selbstkritischer Reformwillen notwendig

Um eine Reform zu realisieren, bedarf es selbstkritischer Einsichten der Akteure in die kontraproduktiven Auswirkungen ihrer bisherigen Handlungsweisen. Wohl am wenigsten ist in dieser Hinsicht vom Publikum zu erwarten, weil es sich als diffuse Gesamtheit kaum seiner Wirkungsmacht über Einschaltquoten bewusst ist. Von Politikern sind Einsichten in Reformmaßnahmen, die mit der Informationsvorsorge eine unerlässliche Voraussetzung für die Selbstregulierungsfähigkeit komplexer demokratischer Gesellschaften und damit deren Stabilität betreffen, eher zu erwarten.

Wie realistisch diese Voraussetzungen der Durchsetzbarkeit sind, hängt auch davon ab, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk willens und fähig ist, seine Probleme, statt sie durch Selbstbeweihräucherung zu vernebeln, unerschrocken und unter professioneller Distanznahme zu sich selbst öffentlich zu machen. Das ist denkbar, wenn er die professionelle Aufgabe der Informationsvorsorge, der Grundversorgung mit umfassender Transparenz, die sowohl für individuelle Lebensgestaltung wie gesellschaftliche Selbstregulierung unentbehrlich ist, auch für sich selbst als Gegenstand seiner Berichterstattung ernst nimmt.

Ob sich das realisieren lässt, ist eine Frage rundfunkpolitischer Entschiedenheit, für die auch das aus Wählern bestehende Publikum verantwortlich ist, sofern es zwischen deutlichen Konzepten wählen kann. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter in die Legitimitätskrise schlittern zu lassen, bedroht die Informationsvorsorge und damit auch die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nicht zuletzt geht es darum, eine Institution zu stärken, die dem systemrelevanten, aber durch die Digitalisierung in die Krise geratenen Journalistenberuf weiterhin eine von politischen und kommerziellen Partikularinteressen möglichst wenig beeinflusste Entwicklung ermöglicht.