Verschwörungstheorien, fake news, postfaktisches Zeitalter, „Lügenpresse“ – was und wem die Bürger (nicht mehr) vertrauen, ist zu einem der großen Themen unserer Zeit geworden. Die Verunsicherung ist groß, nicht zuletzt in der Politik und in den Medien. Viele Zeitdiagnosen beruhen bisher aber nur auf Eindrücken und Episoden, nicht auf empirischen Studien. Auf der Grundlage einer Bevölkerungsumfrage (Okt/Nov 2016) kann das Forschungsteam an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu einigen Aspekten repräsentative Daten beisteuern – und möglicherweise zu einer Versachlichung und Differenzierung der Debatte beitragen.
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Die Studie wurde gefördert vom "Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Die Mitglieder des Forschungsteams:
Nikolaus Jackob (PD Dr.), Geschäftsführer des Instituts für Publizistik
Oliver Quiring (Prof Dr.), Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Christian Schemer (Prof. Dr.), Geschäftsführender Leiter des Instituts für Publizistik
Tanjev Schultz (Prof. Dr.), Leiter des Journalistisches Seminars
Marc Ziegele (Dr.), Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik
Aus den Analysen ergeben sich fünf Erkenntnisse und Thesen:
Erstens: Weder Alarmismus noch Sorglosigkeit sind angebracht: Bei der Entwicklung des Medienvertrauens zeigt sich ein komplexes Bild. Es gibt nicht nur den einen Trend – mehr Skepsis. Wir sehen zugleich auch viel Kontinuität und Vertrauen (vgl. Schaubild). Die Nutzung und das Vertrauen in öffentlich-rechtliche Sender und klassische Tageszeitungen sind recht stabil.
Zum Teil ist sogar eine Zunahme des Vertrauens zu erkennen, die mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit infolge der gegenwärtigen Diskussionen erklärt werden kann. Weil so viel darüber gesprochen wird und auch so viel pauschale Kritik kursiert, wird einigen Bürgern bewusst, wie sehr sie den etablierten Medien dann doch vertrauen – und was man, gerade im Vergleich zu anderen Staaten, in Deutschland an den hiesigen Medien hat. Ein dramatischer, die Bevölkerung insgesamt ergreifender Vertrauensschwund ist nicht zu erkennen. Eher sehen wir Anzeichen für eine Polarisierung. Auch diese Entwicklung ist freilich problematisch: Sie kann die politische und mediale Kultur verändern und dazu führen, dass die Auseinandersetzungen heftiger werden.
Noch immer bemühen sich viele Menschen darum, die Medien differenziert zu bewerten. Sie antworten auf entsprechende Fragen mit „teils teils“. Sie kennen also Momente und Fälle, in denen sie den etablierten Medien nicht so sehr vertrauen, und andere, in denen sie es tun. Das ist eine gesunde Medienskepsis. Generell ist es für Demokratien und eine freie Mediengesellschaft typisch (und wünschenswert), dass die Bürger nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten kritisch hinterfragen.
Viele Bürger sehen zudem Unterschiede zwischen verschiedenen Mediengattungen (vgl. Schaubild 4). Zeitungen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk haben weiterhin relativ hohe Vertrauenswerte. Dies zeigen auch langfristige Daten aus den Eurobarometer-Befragungen und der Langzeitstudie "Massenkommunikation". Boulevardzeitungen und das Privatfernsehen sind in den Augen der meisten Bürger weniger glaubwürdig.
Einige Befunde erscheinen beruhigend, andere sind Anlass zur Sorge: Seit 2008 ist in unseren Studien der Anteil derjenigen, die bei wichtigen Themen den Medien "eher nicht" oder "überhaupt nicht" vertrauen, deutlich gestiegen – von 9 auf 24 Prozent (Schaubild 2). Zudem sind die Werte für ungerechtfertigte Pauschalkritik, die in Richtung „Lügenpresse“ gehen, durchaus beachtlich: Mehr als jeder Vierte hält die Medien lediglich für ein „Sprachrohr der Mächtigen“ und wirft ihnen vor, den Menschen vorzuschreiben, was diese zu denken hätten (Schaubild 5). Medien und Politik würden Hand in Hand arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren. Fast jeder Fünfte sagt, die Bevölkerung werde von den Medien „systematisch belogen“.
Zweitens: Nicht alle, die heftige und pauschale Kritik an etablierten Sendern und Zeitungen üben, haben bereits ein kohärentes und gefestigtes Anti-Medien-Bild. Offensichtlich spielen derzeit Stimmungen eine große Rolle.
Viele Leute können nicht unterscheiden zwischen Kritik, die aus wissenschaftlicher Sicht berechtigt erscheint, und überzogener Kritik oder regelrechter Infamie. Die Mehrheit äußert sich moderat kritisch und nennt eine Reihe von Kritikpunkten (Schaubild 10), die gedeckt sind durch etliche Studien: So sagt jeder Zweite, die Medien würden lieber Experten zitieren, die zu ihrer Berichterstattung passen, als solche, die ihnen widersprechen. In der Medienforschung spricht man in diesem Zusammenhang von "opportunen Zeugen". Die Neigung, solche Zeugen heranzuziehen, lässt sich nachweisen. Ein anderer Vorwurf: Neutrale Berichterstattung und wertende Kommentare werden oft vermischt. Darüber gibt es auch in der Medienbranche immer wieder Diskussionen. Entsprechende Kritik der Leser könnten sich Journalisten zu Herzen nehmen.
Die Menschen benennen auch mögliche Gründe für Fehler und Fehlleistungen der Medien. Darunter sind solche, die Journalisten entlasten: Zeitmangel, eine komplexe Welt, Zwang zur Auswahl (Schaubild 11). Niedere Motive – Eigensucht, Dummheit, Manipulation – werden signifikant seltener genannt, allerdings immer noch bemerkenswert oft.
Pauschale Angriffe wie "Die Medien schreiben einem vor, was man denken soll" oder "Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen" verstören die Journalisten, aber auch viele Politiker und aufgeklärte Bürger. Die "Lügenpresse"-Debatte hinterlässt Spuren. Sie hat dazu beigetragen, dass sich viele erstmals mit der Frage beschäftigen, wie Journalisten arbeiten. Zugleich kursieren Vorurteile und Verschwörungstheorien über die Medien, die oft unreflektiert übernommen und weitergetragen werden. Nicht alle, die solche Positionen äußern, sind unbedingt radikale Mediengegner. Zur Gruppe der Menschen, die harsche Urteile über die "etablierten Medien" fällen, gehören auch solche, die sich diesen Medien keineswegs verschließen. Wie unsere Daten zeigen, schaut immerhin etwa die Hälfte von ihnen täglich öffentlich-rechtliches Fernsehen – und ähnlich groß ist in dieser Gruppe der Anteil derjenigen, die den Öffentlich-Rechtlichen bescheinigen, glaubwürdig zu sein. Auch Tageszeitungen erreichen in dieser Gruppe immer noch erstaunlich hohe Glaubwürdigkeitswerte.
Unsere Daten sprechen insofern dafür, dass viele Menschen derzeit einer medienkritischen Grundstimmung folgen und entsprechenden Urteilen und Sprüchen zustimmen, ohne dass es sich bereits (bei allen) um verfestigte, konsistente Einstellungen handelt. Im Alltag orientieren sich viele weiterhin an den etablierten Medien. So sagen sogar von denjenigen, die behaupten, die Medien würden die Bürger systematisch belügen, immer noch fast 20 Prozent, die Medien würden „ausgewogen“ berichten. Und von denen, die sagen, die Medien würden den Menschen vorschreiben, was sie zu denken hätten, sagt immerhin jeder Vierte, die etablierten Medien „berichten präzise“ und man könne ihnen bei wichtigen Themen vertrauen.
Kurzum: Es gibt zweifellos einen harten Kern radikaler Medienkritiker und Verschwörungstheoretiker. Doch in der Gruppe der Medienverdrossenen befinden sich keineswegs nur solche schweren oder hoffnungslosen Fälle.
Drittens: Die Bedeutung der Sozialen Medien wird überschätzt. Der Anteil der Dauererregten, der Hasskommentatoren und „Trolle“ im Netz ist klein.
Die wenigsten Menschen kommentieren Nachrichten aktiv (Schaubild 7). Die vielen Millionen, die nicht selbst in Sozialen Medien aktiv sind, werden jedoch gar nicht gehört. Stattdessen starren Medien und Politik wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange – auf eine radikale, laute Minderheit. So könnte eine neue Form der Schweigespirale entstehen: Die Besonnenen ziehen sich immer weiter zurück, gewinnen aber den (eigentlich falschen) Eindruck, in der Minderheit zu sein. Die mediale und politische Kultur wird so immer weiter dominiert von den Aggressiven, den Penetranten und Impertinenten.
Die etablierten Medien tragen oft selbst zur Verbreitung radikaler Kommentare bei, indem sie auf diese eingehen und sie als Problemfälle thematisieren. Journalisten befinden sich offensichtlich in einem Dilemma. Umso wichtiger ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass weiterhin sehr viele Menschen darauf verzichten, sich überhaupt an den Debatten in den Sozialen Netzen zu beteiligen.
Gängige Verschwörungstheorien zur Mondlandung, zu 9/11 oder zu Chemtrails werden von etwa 16 Prozent der Bevölkerung ernst genommen (Schaubild 9). In der öffentlichen Debatte wird derzeit viel über Verschwörungstheorien gesprochen, ohne dazu Werte über die Akzeptanz in der Bevölkerung zu haben. Unsere Studie liefert nun Daten. Sie zeigt, dass es eine Anfälligkeit relevanter Bevölkerungsgruppen für solche Theorien gibt. Diejenigen, die den Pauschalvorwürfen gegen die Medien zustimmen, fallen besonders auf: Bei ihnen liegen die Werte deutlich über dem Durchschnitt. So halten von denjenigen, die behaupten, die Medien würden die Bürger systematisch belügen, rund 40 Prozent 9/11 für eine Inszenierung der USA und den Tod von Prinzessin Diana für einen Mord des Geheimdiensts (im Durchschnitt der Bevölkerung sagen dies nur 16 bzw. 23 Prozent).
Anlass zur Sorge sind diese Werte auch deshalb, weil damit zu rechnen ist, dass sich das Umfeld, in dem sich Verschwörungstheorien ausbreiten, durch die Entwicklung der Medien erweitern wird. In den vergangenen Jahren sind bereits (vor allem im Internet, aber nicht nur dort) eine Reihe von Publikationen entstanden, die auf die Gruppe der verschwörungstheoretisch Anfälligen zielen und daraus ein wirtschaftliches und/oder politisches Geschäft machen. Unsere Daten zeigen, dass Menschen, die Verschwörungstheorien glauben, solche Angebote überdurchschnittlich häufig nutzen.
Die unsichere Weltlage und der verschärfte Einsatz von Propaganda und Desinformation in der internationalen Politik sind, kombiniert mit neuen Techniken und medialen Trends, wie geschaffen dafür, die Bürger weiter zu verunsichern und in Verschwörungsmythen zu treiben.
Fünftens: Politik- und Medienverdrossenheit und Verschwörungsdenken gehen Hand in Hand – eine für die Demokratie gefährliche Verbindung.
Komplexere Analysen (Regressionsanalysen) unserer Daten zeigen: Menschen, die der Politik nichts zutrauen, sind besonders anfällig für Verschwörungstheorien, für ein Misstrauen gegen die etablierten Medien und für Lügenpresse-Vorwürfe. Diese Mischung ist gefährlich, weil sie dazu führen kann, dass sich eine Gruppe von Menschen dauerhaft aus den demokratischen Institutionen und Meinungsbildungsprozessen ausklinkt und eine von Ressentiments geprägte Parallelwelt aufbaut.
Noch ist unklar, ob sich dieses Syndrom tatsächlich verfestigt. Bei vielen Menschen liegt offenbar noch keine so klare Anti-Haltung vor, vielmehr eine in sich widersprüchliche Stimmung (s. oben, These 2). Wir halten es für notwendig, diese Zusammenhänge kontinuierlich zu untersuchen und unsere Befragungen regelmäßig zu wiederholen, um die weitere Entwicklung verfolgen zu können. Im kommenden Bundestagswahlkampf könnte die Aufmerksamkeit für die entsprechenden Themen (und damit womöglich die Polarisierung) weiter wachsen.
Unsere Daten zeigen erwartungsgemäß, dass Anhänger der AfD den etablierten Medien stärker misstrauen als die Anhänger anderer Parteien. Auch für Verschwörungstheorien sind sie anfälliger, ebenso wie die Anhänger der Linkspartei.
Medienvertrauen bei wichtigen Dingen
Glaubwürdigkeit Mediengattungen
Nutzung Mediengattungen
Nachrichtenbezogenes Verhalten im Web
Glaube an Verschwörungstheorien
Media Madnes Monitor
Gründe für Fehlleistungen der Medien