Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Ruth Andreas-Friedrich informierte während des NS-Regimes mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln über dessen tägliche Gräueltaten, um so weitere human denkende Menschen zum Widerstand aufzurufen. Sie war die Initiatorin der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“, die Nazigegner unterstützte, verfolgte Juden versteckte und so für deren Überleben sorgte.
Ruth Frieda Mathilde Behrens wurde am 23. September 1901 in Berlin als Tochter eines Juristen und höheren Beamten der Heeresverwaltung geboren. Sie wuchs in Metz und Magdeburg auf, wo sie bis Ostern 1918 ein Lyzeum besuchte. Die nächsten Jahre verbrachte sie bei ihren Großeltern in Breslau und absolvierte dort von 1920 bis 1922 eine Ausbildung als Wohlfahrtspflegerin. Danach begann sie eine Buchhandelslehre, die sie aber abbrach. 1923 zog sie nach Berlin, um als Journalistin zu arbeiten. Sie schrieb Artikel für mehrere Provinzzeitungen wie die linksliberale Neue Badische Landeszeitung oder die liberale Königsberger Allgemeine Zeitung.
1924 heiratete sie den späteren Arbeitgeberpräsidenten (BDA) in der Bundesrepublik Otto A. Friedrich und schrieb fortan unter dem Namen Ruth Andreas-Friedrich, selbst nach ihrer Scheidung im Jahr 1930. Mit dem Vater ihrer Tochter Karin blieb sie zeitlebens freundschaftlich verbunden.
Ab 1931 arbeitete sie im Ullstein-Verlag als Redakteurin für mehrere Frauenzeitschriften und das Magazin UHU, deren Chefredakteur Friedrich Kroner ihr Mentor wurde. Zumeist verfasste sie Feuilletons und Ratgeberkolumnen. Von nun an lebte sie mit dem russland-deutschen Dirigenten Leo Borchard zusammen.
Nach der NS-Machtübernahme im Jahr 1933 arbeitete Ruth Andreas-Friedrich als freiberufliche Journalistin für mehrere Frauenzeitschriften.
Spätestens nach den Novemberpogromen 1938, der sogenannten „Reichskristallnacht“, als viele ihrer jüdischen Freunde angegriffen und verprügelt wurden, ging sie endgültig auf totale Distanz zum Nazi-Regime. Zusammen mit Leo Borchard baute sie schrittweise die Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ auf, aus einem Freundeskreis hilfsbereiter Menschen und gleichgesinnter Hitler-Gegner. Zu diesem Kreis gehörten bürgerliche Intellektuelle wie Ärzte, Juristen und Schriftsteller, aber auch Handwerker wie ein Konditormeister und ein Drucker, später noch Arbeiter mit kommunistischer Gesinnung. Auch der Grafiker und geniale Passfälscher Cioma Schönhaus stieß kurzzeitig hinzu und ab 1943 Ruths 18jährige Tochter Karin, die über die Hinrichtung der Geschwister Scholl völlig entsetzt war.
Geradezu verwunderlich ist, dass in der gesamten Nazi-Zeit trotz Gestapo, SS, SA und zahlreichen Denunzianten die Gruppe „Onkel Emil“ – der Name war für alle Fälle auch als Warnruf gedacht – unentdeckt blieb, obwohl diese Gruppe immer wieder Flugblätter verteilte, NS-Plakate übermalte, jüdische Freunde versteckte und für verfolgte Nazi-Gegner Essensmarken besorgte, Pässe fälschte oder ihnen neue Papiere für angeblich Ausgebombte beschaffte.
1939 wurde Ruth Andreas-Friedrich Redakteurin der Zeitschrift Die junge Dame, die 1943 mit zwei anderen Magazinen zur regierungskonformen Frauenzeitschrift Kamerad Frau zusammengelegt wurde. Von September 1943 bis September 1944 war sie sogar deren Hauptschriftleiterin und damit natürlich mitverantwortlich für Kriegs- und Durchhaltepropaganda im Heft, ohne aber jemals selber einen derartigen Artikel verfasst zu haben. Sie behielt diesen Job schon als Tarnung und wurde daher auch zu keiner Zeit verfolgt.
Seit den Novemberpogromen schrieb sie Tagebuch und dokumentierte darin das Geschehen im NS-Staat und die Aktivitäten der Gruppe Onkel Emil. Am 27. März 1943 notierte sie: „Uns aber ist es ungeheuer wichtig, dass man draußen erfährt, dass auch in Deutschland Menschen leben. Nicht nur Judenfresser, Hitlerjünger und Gestaposchergen.“ Aus ihren Tagebuchnotizen entstand 1946 das Buch „Der Schattenmann“, was zunächst in den USA unter dem Titel „Berlin Underground“ herauskam. Und dann 1947 auch in Ost- wie Westdeutschland. Dem Historiker Wolfgang Benz zufolge eine authentische Schilderung der Aktivitäten des Freundeskreises um „Onkel Emil“ während des Nazi-Terrors. Neben ► Eugen Kogons „Der SS-Staat“ oder Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ ein wichtiges Dokument zur Geschichte des Dritten Reichs.
Unmittelbar nach Kriegsende trat sie in die SPD ein und gab zusammen mit ► Helmut Kindler und Heinz Ullstein als US-Lizenz die Frauenzeitschrift sie heraus. Und im November 1947 noch als eigenes Produkt die Zeitschrift Lilith für junge Mädchen und Frauen. Die musste allerdings nach der Währungsreform und infolge der Berlin-Blockade schon bald wieder eingestellt werden.
Ende 1948 zog Ruth Andreas-Friedrich nach München, mit ihrem später dritten Ehemann, dem Facharzt Walter Seitz, der dort Hochschullehrer wurde. Von hier aus arbeitete sie als freie Journalistin vor allem für die Frauenzeitschrift Constanze. Und schrieb mehrere Ratgeberbücher zu Themen wie Liebe, Partnerschaft oder Psychologie.
Ruth Andreas-Friedrich war Zeit ihres Lebens eine selbstbewusste Frau. Nachdem Seitz und sie sich 1977 getrennt hatten, beschloss sie im September des Jahres, ihr Leben zu beenden.
Ihren Berliner Wohnsitz und das Domizil der Gruppe „Onkel Emil“ im Steglitzer Hünensteig 6 kennzeichnet ein Emailschild. Am Steglitzer Fichtenberg wurde ein Findling zu einem Gedenkstein für die mutige Ruth Andreas-Friedrich gemacht. Und 1990 wurde der kleine Park neben dem Botanischen Garten nach ihr benannt.
Im Jahr 2002 verlieh der Staat Israel zunächst ihr und zwei Jahre später auch ihrer Tochter Karin Friedrich den Ehrentitel „Gerechte unter Völkern“, die höchste Auszeichnung für Nichtjuden.
(hhb)
Quellen
Wolfgang Benz: Andreas-Friedrich, Ruth / Deutsche Biographie
Susanne Gretter: Ruth Andreas-Friedrich / in: FemBio Frauen Biographieforschung
Rudolf Walther: Die vergessenen Hitler-Gegner / Berliner Widerstandsgruppe ‚Onkel Emil‘ / SZ Süddeutsche Zeitung vom 18.5 2020
Steglitzer Widerstandsgruppe „Onkel Emil“: Unter Lebensgefahr Andere retten / Berliner Zeitung vom 11.6.2020
Oliver Noffke: Die Frau, die „Nein“ sagte / rbb 24 vom 23.9.2021
Armin Fuhrer: Widerstandsgruppe "Onkel Emil": Diese unbekannte Berliner Gruppe kämpfte gegen Hitler / Focus vom 21.11.2020
Bücher:
Ruth Andreas-Friedrich: Der Schattenmann – Tagebuchaufzeichnungen 1938-1948 / Berlin 1947 - Suhrkamp Taschenbuch 2000
Ruth Andreas-Friedrich: Schauplatz Berlin / Suhrkamp Taschenbuch 1986
Wolfgang Benz: Protest und Menschlichkeit / Reclam 2020