Der Kunstwissenschaftler Erich Everth war von 1912 bis Mitte der 20er Jahre als Journalist für verschiedene bürgerlich-liberale Zeitungen tätig und erhielt 1926 einen Ruf an das Leipziger Institut für Zeitungskunde. Als Nachfolger des Nestors der Zeitungskunde Karl Bücher wurde er dort Inhaber des ersten ordentlichen Lehrstuhls für Zeitungskunde in Deutschland. Zeitungskunde gilt noch heute als Mutterdisziplin für die Kommunikations- und Medienwissenschaft. Am 19. Februar 1933 hielt Everth eine Rede für die Erhaltung der Pressefreiheit bei der Kundgebung „Das Freie Wort“, wo gegen die Einschränkungen der Freiheitsrechte durch die Nationalsozialisten demonstriert wurde.
Erich Everth wurde am 3. Juli 1878 als Sohn einer Berliner Kaufmannsfamilie geboren. Er besuchte das Königlich Joachimsthalsche Gymnasium und absolvierte nach seinem Abitur ab 1898 an der Berliner Universität ein breit gefächertes geisteswissenschaftliches Studium: Kunstgeschichte, Philosophie, Jura und Psychologie. 1906 unterbrach er sein Studium, um einen einjährigen Militärdienst zu absolvieren. 1909 promovierte er dann an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig.
Ab 1912 war er als Journalist tätig, nachdem seine Habilitation und damit der von ihm angestrebte Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn gescheitert waren. Er begann im Feuilleton der Rheinisch-Westfälischen Zeitung in Essen und wechselte 1913 ins Berliner Hauptstadtbüro der Magdeburgischen Zeitung ins Politik-Ressort.
1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, wurde an die Ostfront versetzt und dort verwundet. Worauf er nach seiner Genesung als Referent in die Presseverwaltung für Polen versetzt wurde, wo er wieder publizieren konnte. Etwa seine Studie „Von der Seele der Soldaten im Felde“ – beileibe kein Heldenepos, sondern eine einfühlsame Schilderung der psychischen Belastungen von Soldaten. Eine Schrift, die von Hermann Hesse gelobt wurde.
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1917 wurde er Chefredakteur des Leipziger Tageblatts und danach Leiter der Berliner Vertretung für diese Zeitung. Was ihm erlaubte, auch Leitartikel für die Vossische Zeitung zu schreiben. Von 1923 bis 1924 arbeitete er als Kulturredakteur für die Deutsche Allgemeine Zeitung und zuletzt bis 1926 als Wiener Korrespondent für das Berliner Tageblatt.
Mit seinem Ruf im November 1926 an die Leipziger Universität wechselte er vom Journalismus zur Wissenschaft und konnte nun endlich seine lange angestrebte akademische Karriere beginnen. Als erster Ordinarius für Zeitungskunde in Deutschland übernahm er diesen Lehrstuhl an dem von ► Karl Bücher gegründeten gleichnamigen Leipziger Institut.
Auf Grund seines breit gefächerten Wissens aus seinen Studien in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Fächern lautete eine wichtige Botschaft auch an seine Studenten: „Wer die Probleme der Zeitung wirklich durchdenken will, muss sich noch in mancherlei anderen Bereichen als in dem der Presse umschauen; ohne ein starkes Bedürfnis, über den Zaun zu gucken, wird er nicht weit kommen.“ Mit anderen Worten: Neben der Aneignung von medienwissenschaftlichem Wissen war ihm ein weiteres Input-Studium wichtig, auf dessen Grundlage man dann kompetent berichten kann – sei es über Politik, Wirtschaft, Kultur oder Naturwissenschaften. Daher unterstützte Everth solche interdisziplinären Studien für angehende Journalisten.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gehörte Everth keineswegs zu den begeisterten Jublern wie in vielen Blättern, vor allem der Hugenberg-Presse. Der Kommunikationswissenschaftler Arnulf Kutsch beschreibt ihn so: „Everth war ein Mann der unbequemeren Sorte, dem es als Erstes um den Schutz der Pressefreiheit vor dem Knebelgriff der nationalsozialistischen Gleichschalter ging – eine Sorge, die ihn Beruf und Ehre und wohl auch die Lebenskraft kosten sollte.“
Zwei Wochen nachdem Reichspräsident Hindenburg Grundrechte der Weimarer Verfassung mittels Notverordnungen eingeschränkt hatte, darunter die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, kam es in der Kroll-Oper zu einer letzten von liberalen und linken Demokraten organisierten öffentlichen Protestversammlung. Dort hielt Erich Everth ein flammendes Plädoyer für die Erhaltung der Pressefreiheit. Wenige Tage später brannte gegenüber der Deutsche Reichstag.
Gegen Everth wurde sofort politisch ermittelt. Bereits Ende April 1933 wurde er wegen „undeutscher Einstellung“ zwangsweise beurlaubt. Weil er als einziger Zeitungswissenschaftler den Mut gehabt hatte, öffentlich Kritik an den Notverordnungen und an der NS-Pressepolitik zu üben, wurde er Ende September 1933 zwangsemeritiert.
Erich Everth starb am 22. Juni 1934 in Leipzig.
(hhb)