Mathilde Franziska Anneke war eine der ungewöhnlichsten Frauengestalten im 19. Jahrhundert in Deutschland. Journalistin und Schriftstellerin in Westfalen, Frauenrechtlerin und revolutionäre Sozialistin in Köln, Offizierin in den Reichsverfassungskämpfen in der Pfalz und Baden, Journalistin und Aktivistin für Frauenrechte und gegen die Sklaverei in den USA.
Am 3. April 1817 kam sie Gut Oberleveringhausen in Hildburghausen als älteste Tochter von insgesamt zwölf Kindern des Guts- und Bergwerksbesitzers Karl Gieseler und seiner Ehefrau Elisabeth zur Welt. Das hübsche und kluge Mädchen wurde von Hauslehrern erzogen und galt als ausgesprochen gebildet. Da der Vater sich mit Aktien verspekulierte, wurde die 19-jährige Mathilde 1836 mit einem Mühlheimer Weinhändler verheiratet, der die Schulden des Vaters übernahm. Die Ehe scheiterte, im November 1837 wurde Tochter Johanna „Fanny“ geboren, im Monat danach trennte sich Mathilde von ihrem Ehemann, der sich als gewalttätiger Trinker entpuppt hatte. Der Scheidungsprozess dauerte bis 1840, sie wurde schuldig gesprochen, durfte aber ihren Geburtsnamen wieder annehmen und erhielt das Sorgerecht für ihre Tochter.
Copyright: Autor/-in unbekannt - Zeichnung aus: Der Märker, 1840, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=955033
Neuer Lebensmittelpunkt wurde Münster, wo sie als Schriftstellerin arbeitete. Um Geld zu verdienen, publizierte unter anderem zwei Gebetsbücher für Frauen. Doch dann wandte sie sich von der katholischen Kirche ab, interessierte sich für politische und gesellschaftliche Ideen der Zeit. Sie arbeitete nun als Journalistin für die Kölnische Zeitung und die damals hochangesehene Allgemeine Zeitung in Augsburg, für die auch ► Heinrich Heine schrieb. Sie engagierte sich in der Vormärz-Zeit im „Demokratischen Verein“, wo sie den Artillerie-Leutnant Fritz Anneke kennengelernte, der 1847 unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassen worden war, weil er ein Duell verweigert hatte. Die beiden heirateten im Sommer 1847.
Das Paar zog nach Köln. Ihre Wohnung wurde Treffpunkt eines revolutionären Zirkels, aus dem später der „Kölner Arbeiterverein“ hervorging. Mathilde Anneke lernte nun ► Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle kennen. Zu den Freunden der Annekes gehörte auch Moses Hess, später ein Verfechter des politischen Zionismus.
Aufsehen erregte sie 1847 mit einer Verteidigungsschrift für die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Louise Aston (1814 – 1871), die als „staatsgefährliche Person“ aus Berlin ausgewiesen worden war. In dem Text unter der Überschrift „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“ rechnete sie mit der Unterdrückung der Frauen ab. „Warum auch sollte das Weib überhaupt die schweigsame Dulderin fortan noch sein? Warum noch länger die demütige Magd, die ‚ihrem Herrn die Füße wäscht’?“
Im März 1848 herrschte in Deutschland Revolution. Im Juli wurde Fritz Anneke in Köln als „staatsgefährendes Element“ verhaftet. Nun gründete seine Frau die Neue Kölnische Zeitung für Bürger Bauern und Soldaten, die erstmals am 10. September erschien. „Sie ist für das arbeitende Volk bestimmt ... Unser Wahlspruch: Wohlstand, Freiheit und Bildung für alle.“ Das Blatt wurde alsbald Opfer der Zensur. Sie gründete daraufhin ihre Frauenzeitung und schrieb, sie glaube nicht länger an den „trüglichen Wahn, dass wir dort oben belohnt werden für unser Lieben und Leiden, für unser Dulden und Dienen“, sondern daran, „dass wir gleich berechtigt sind zum Lebensgenusse wie unsere Unterdrücker.“ Auch dieses Blatt wurde nach zwei Ausgaben verboten. Im Dezember 1848 wurde ihr Mann in einem vielbeachteten Prozess in Berlin freigesprochen.
Im Jahr darauf befehligte Fritz Anneke in der „Reichsverfassungskampagne“ die Artillerie der Pfälzischen Volkswehr, das letzten Aufgebot der 48er-Revolution. Seine Adjutantin war Ehefrau Mathilde, deren Mut gelobt wurde. Als preußische Truppen die letzte Bastion der Revolutionäre, die Festung Rastatt, eingenommen hatten, floh das Ehepaar über Straßburg, die Schweiz und Le Havre per Schiff nach Amerika. In Preußen und den Staaten des deutschen Bundes begann die Repression, die sich insbesondere gegen „Frauenspersonen“ richtete, die durften weder Mitglied in politischen Vereinen werden noch an politischen Versammlungen teilnehmen.
Die Familie Anneke ließ sich in Milwaukee nieder und konnte mit Vorträgen über deutsche Politik und Literatur ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mathilde Franziska Anneke arbeitete als Korrespondentin für deutsche Zeitungen in Amerika und auch weiter wie ihr Ehemann für die Allgemeine Zeitung in Augsburg. Am 1. April 1852 erschien die erste Nummer ihrer deutschsprachigen Frauen Zeitung, die sich konsequent für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzte. Sie erschien zweieinhalb Jahre lang und erreichte eine Auflage von 2.000 Exemplaren. So kam sie in Kontakt mit prominenten amerikanischen Frauenrechtlerinnen und dem „American woman’s rights movement“. In öffentlichen Auftritten engagierte sie sich gegen Nationalismus und Benachteiligung von Frauen. Außerdem forderte sie in ihren Zeitungsartikeln die Abschaffung der Sklaverei.
Im Sommer 1860 reiste sie wegen ihrer abgeschlagenen Gesundheit in die Schweiz, wo sie auf Erholung hoffte. Sie arbeitete auch dort als Journalistin und verfasste die erfolgreichen Novellen „Die Sclaven-Auction“ und „Die gebrochenen Ketten“, sowie den Roman „Uhland in Texas“. Sie blieb fünf Jahre. Zurück in den USA gründete Mathilde Franziska Anneke mit Cäcilie Kapp, einer Pädagogin, die sie in der Schweiz kennengelernt hatte, eine Schule – das „Milwaukee Töchter-Institut“ mit angeschlossenem Pensionat, das Mädchen eine umfassende Bildung insbesondere auch in Mathematik und Naturwissenschaften vermittelte. Außerdem gehörte sie 1869 zu den Gründerinnen der „Wisconsin Woman Suffrage Association“ und wurde zur ersten Vize-Präsidentin der „National Woman Suffrage Association“ gewählt. Bis zu ihrem Tod blieb sie engagierte Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen.
Mathilde Franziska Anneke starb am 25. November 1884 im Alter von 67 Jahren in Milwaukee, Wisconsin.
Seit 2010 vergeben die Städte Hattingen und Sprockhövel den „Anneke-Preis“ für „herausragende Verdienste im Einsatz für Frauenrechte“.
Der Kölner Frauengeschichtsverein sorgte dafür, dass von der Fassade des Ratsturms neben den Skulpturen von 106 Männern nun auch 18 Frauen auf den alten Markt herabschauen. Eine davon ist Mathilde Franziska Anneke.
(ms)
Quellen:
Mathilde Franziska Anneke: Das Weib im Konflikt mit den sozialen Verhältnissen, 1847
Bücher:
Karin Hockamp: „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“ – Mathilde Franziska Anneke (1817–1884), Stadt Sprockhövel & Stadt Hattingen, 2012, ISBN 978-3-8196-0881-0.
Irina Hundt: Mathilde Franziska Anneke (1817-1884): Eine radikale Demokratin auf zwei Kontinenten, in: Frank-Walter Steinmeier (Hrsg.), Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918, München (C.H.Beck), 2021, S. 199–212.