Die Schweizer Journalistin Lily Abegg berichtet jahrzehntelang als Auslandskorrespondentin für deutsche und schweizerische Zeitungen vor allem aus Ostasien. Als reisende Berichterstatterin besuchte sie aber auch Indien und Pakistan sowie Südostasien, den Nahen Osten und Afrika und vermittelte ihren Lesern das Denken, Leben und Handeln der Menschen in diesen ganz anderen Kulturkreisen.
Elisabeth Hermine Abegg wurde am 7. Dezember 1901 als Tochter eines Zürcher Kaufmanns und einer deutschen Mutter in Hamburg geboren. Sie wuchs von 1902 bis 1916 in Yokohama auf, wo ihr Vater im Seidenhandel tätig war. Dort besuchte sie die Deutsche Schule. Als ihre Familie im Ersten Weltkrieg aus Japan in die Schweiz zurückkehren wollte, ging das nur über die Ostroute – über den Pazifik nach San Francisco, dann durch die USA und über den Atlantik nach Oslo. Während ihrer Weiterfahrt durch das Deutsche Reich starb ihr Vater 1916 in Offenburg.
Damals war Lily Abegg 15 Jahre alt und besuchte nun das Freie Gymnasium in Zürich. Nach ihrer Matura studierte sie Volkswirtschaft und Staatswissenschaften an den Universitäten in Genf und Hamburg und wurde 1925 in Hamburg mit einer Arbeit über die französische Eisenindustrie zum Dr. rer. pol. promoviert.
Danach arbeitete Lily Abegg im Institut für Zeitungswissenschaften an der Heidelberger Universität und betrieb anschließend von 1930 bis 1933 ein eigenes Zeitungs-Korrespondenzbüro in Berlin. Von ihr bekam zum Beispiel ► Hilmar Pabel seinen ersten Auftrag für eine Fotoreise auf einem Walfänger zu den Faröer Inseln.
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1934 kehrte Lily Abegg nach Japan zurück und arbeitete für deutsche, schweizerische, englische und holländische Zeitungen von Tokio aus. Ab 1936 wurde sie Fernost-Korrespondentin der Frankfurter Zeitung – für Japan und bis 1939 auch für China. In diesen Jahren wurde sie zu einer Art doppelter Expertin: in Deutschland für Ostasien, in Japan für Europa. Aber Nazi-Propaganda hat sie in Japan nicht verbreitet; dafür gab sie sich nicht her. Und die von ihr angeforderten Berichte über die Situation in Japan für die deutsche Botschaft wurden dort eher als Provokation empfunden, weil sie aus Sicht der Nazis irrige Ansichten enthielten.
Nach Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg wurde sie von den amerikanischen Besatzern als Kriegsverbrecherin inhaftiert, weil man sie fälschlicherweise für die Radiosprecherin „Tokyo Rose“ hielt, die US-Soldaten über den Propagandasender von Radio Tokyo permanent mit Fake-News in englischer Sprache zu demotivieren versucht hatte. Das jedenfalls titelte die New York Times am 12. September 1945. Ein Irrtum, der sich Anfang 1946 aufgeklärt hatte.
1946 kehrte Lily Abegg in die Schweiz zurück und arbeitete von 1946 bis 1950 als Redakteurin bei der Weltwoche und danach von 1950 bis 1954 als deren Berichterstatterin in Pakistan, Indien, Ägypten, Sudan, Äthiopien, Saudi-Arabien und Afghanistan.
Von 1954 bis 1964 wurde sie von der Frankfurter Allgemeinen fest angestellt, als Korrespondentin für Ost- und Südostasien mit Sitz in Tokio. Danach kehrte sie nach Zürich zurück, blieb aber bis zu ihrem Tod Beraterin der FAZ als Expertin für ost- und südostasiatische Fragen.
Lily Abegg hat über ihre Erkenntnisse mehrere Sachbücher verfasst: schon 1936 „Yamato. Der Sendungsglaube des japanischen Volkes“ und schließlich 1973 – also 37 Jahre danach – die damals aktuelle Vision der Japaner über ihre erstrebte Rolle in der Welt: „Japans Traum vom Musterland. Der neue Nipponismus“. Auf der Basis ihrer fast vierzigjährigen Asien-Erfahrung konnte Lily Abegg immer wieder genauere Einblicke in das zeitgenössische Japan und China vermitteln.
Lily Abegg starb am 13. Juli 1974 an einem Herzinfarkt, während ihrer Ferien in Samedan, im Kanton Graubünden.
(hhb)
Quellen
Abegg, Lily / Frankfurter Personenlexikon
Abegg, Elisabeth Hermine (Lily) / Hessische Biografie
Myriam Girgis: Lily Abegg / Historisches Lexikon Schweiz
Joschida-Besuch – Weihnachtsmann der Welt / SPIEGEL 43/1954 vom 19.10.1954
Lily Abegg in memoriam: 7. Dezember 1901 – 13. Juli 1974
Andreas Tobler: Eine Schweizerin folgt Hitler nach Paris / Tages-Anzeiger 29.6.2019
Bücher
Lily Abegg: Yamato. Der Sendungsglaube des japanischen Volkes / Societäts-Verlag 1936
Lily Abegg: Chinas Erneuerung – Der Raum als Waffe / Societäts-Verlag 1940
Lily Abegg: Ostasien denkt anders – Versuch einer Analyse des westöstlichen Gegensatzes / Atlantis Verlag Zürich 1949
Lily Abegg: Neue Herren in Mittelost / DVA Stuttgart 1954
Lily Abegg: Im neuen China / Atlantis Verlag 1957
Lily Abegg: Vom Reich der Mitte zu Mao Tse-tung / Bucher Verlag 1966
Lily Abegg: Japans Traum vom Musterland. Der neue Nipponismus / Desch 1973