Die amerikanische Reporterin Virginia Cowles berichtete in den 30er und 40er Jahren zunächst über den Bürgerkrieg in Spanien und dann über den sich ausbreitenden Faschismus in Europa. Sie interviewte Mussolini, recherchierte in Spanien sowohl auf der Seite der Republikaner wie bei den Nationalisten um Franco. Sie lunchte mit Churchill und traf sich mit Hitler zum Tee. Sie war vor Ort, wo immer in diesen Jahren Geschichte geschrieben wurde.
Virginia Cowles wurde am 24. August 1910 in Brattleboro/Vermont als Tochter eines Arztes und einer Journalistin geboren. Da die Ehe ihrer Eltern bald geschieden wurde und der Vater Unterhaltszahlungen verweigerte, musste ihre Mutter als Klatschkolumnistin beim Boston Herald arbeiten und ihre Kinder in ein Internat geben. Dort wuchs Virginia zu einem rebellischen Teenager auf, aber auch leistungsbewusst, denn sie wollte im Leben Erfolg haben und wie ihre Mutter als Journalistin arbeiten.
Schon als 18-Jährige machte sie eine Art Volontariat bei Harper’s Magazine, verkaufte die Zeitschrift per Telefon und akquirierte Werbeanzeigen. Zu Beginn der 30er Jahre arbeitete sie dann freiberuflich von Manhattan aus als Gesellschaftskolumnistin für Haper’s, Collier’s, The Boston Post oder den New York American. Ihr Ziel allerdings war es, Nachrichtenredakteurin zu werden so wie ihr großes Vorbild Dorothy Thompson.
Mit dem Erbe ihrer Mutter beschloss sie, sich Ende 1933 die Welt anzuschauen und über ihre Erlebnisse zu berichten. Vom Hearst-Verlag erhielt sie zwar keinen Vorschuss und auch keine Garantie, diese Berichte zu publizieren, immerhin aber die Zusage, alles lesen zu wollen. In den folgenden elf Monaten schickte sie lebhafte und anschauliche Berichte über eine feministische Bewegung in Birma, über kommerzielle Heiratsvermittlungen in Tokio oder über Piraten im Chinesischen Meer – für die Amerikaner alles neuartige Erkenntnisse, lebendig und amüsant beschrieben. Alle wurden in den Hearst-Medien veröffentlicht – damit hatte sie sich einen bescheidenen Ruf erworben.
Als Mussolini im Herbst 1935 drohte, in Abessinien einzumarschieren, überzeugte sie den Verlag, direkt aus Rom über die Lage dort zu berichten. Es gelang ihr, mit führenden Offizieren in Kontakt zu kommen und sogar Mussolini selbst zu einem kurzen Gespräch zu treffen. Als Mussolini am 3. Oktober 1935 die Invasion startete, berichtete sie über die Stimmung in Rom, über die dort grassierende Kriegsangst und die angespannte Atmosphäre. Auch ihr Interview mit dem italienischen Luftwaffenminister Italo Balbo galt im Verlag als weiterer journalistischer Coup.
Als sich Anfang 1937 die Medien aus aller Welt auf den Bürgerkrieg in Spanien stürzten, wollte Virginia Cowles ebenfalls vor Ort dabei sein. Hearst stimmte zu, und dieses Mal mit einem Reisebudget ausgestattet machte sie sich auf den Weg nach Madrid, wo sie berühmte Kollegen wie ► Martha Gellhorn, Ernest Hemingway oder Sefton Delmer traf. Dort erlebte sie live die Bombardements auf die Stadt, das Elend und den Hunger der Bevölkerung. Ihr britischer Kollege Sefton Delmer machte sie mit den Strategien vertraut, die Pressevertreter brauchten, um Genehmigungen für Frontbesuche und generelle Informationen zu bekommen. So bekam sie Kontakte zu jungen Soldaten und Kämpfern auf der republikanischen Seite, ja sogar zu einem sowjetischen General, der die Loyalisten mit seiner Truppe unterstützte.
Aber im Verlauf des Krieges entging ihr nicht, dass die spanische Republik bald auf verlorenem Posten kämpfte, denn die Nationalisten um Franco hatten mit Unterstützung von Mussolini und Hitler bereits einen Großteil Spaniens erobert. Da Cowles nicht alle ihre Recherche-Reisen mit dem republikanischen Militär abgestimmt hatte, geriet sie dort bald in Verdacht, eine Spionin der Nationalisten zu sein – zumal sie mit Hearst vereinbart hatte, dass ihre Berichte wegen der Zensur erst nach ihrer Ausreise aus Madrid veröffentlicht werden sollten. Darin hatte sie auch die Kriegsverbrechen der Nationalisten erwähnt. Offenbar kurz vor ihrer Verhaftung konnte sie Valencia per Flug nach Paris verlassen.
Nach einem kurzen Erholungsurlaub im französischen Baskenland beschloss sie, nun einmal die andere Seite in Augenschein zu nehmen. Es gelang ihr, die Genehmigung einer Zugreise nach Salamanca zu bekommen, wo damals Francos Befehlszentrum war. Von dort besichtigte sie Guernica, das von Hitlers Bombern plattgemacht worden war, was die Nationalisten aber den Republikanern anhängen wollten. Sie sprach mit Betroffenen und berichtete klar und deutlich über die Mitwirkung der Deutschen und Italiener auf Seiten Francos, erkannte dessen Verbindung zu korrupten Machteliten im Land und berichtete auch darüber. Nun geriet sie in Verdacht, eine Spionin der Republikaner zu sein und musste Spanien daraufhin endgültig verlassen.
Virginia Cowles kehrte als Auslandskorrespondentin nach Europa zurück, für die Radiosender NBC und BBC und für Zeitungen wie Sunday Times. Sie beschrieb das Innenleben der Diktaturen in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. Als Augenzeugin war sie zugegen beim Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei und später beim Überfall auf Polen. Sie war anwesend im eisigen Winterkrieg von November 1939 bis März 1940 zwischen Finnland und Sowjetrussland, wo die Sowjets ihre Kriegsziele nicht erreichten, sondern Finnland seine Unabhängigkeit generell verteidigte. Sie durchschaute die kommunistischen Illusionen, die schon in Spanien gescheitert waren und nun auch in Finnland. Von Hitlers Friedensbeteuerungen hatte sie kein Wort geglaubt und der Nazi-Propaganda ohnehin nichts. Als die Wehrmacht in Paris einmarschierte, floh sie in einem der letzten Autos und begab sich nach England. Von dort berichtete sie über die Schlacht um Großbritannien und schrieb ihr Buch „Looking for Trouble“.
Copyright: Titel-Abbildung "Looking for Trouble", in deutscher Übersetzung erschienen beim DuMont Buchverlag
Darin beschrieb sie 1941 ihre Kriegserlebnisse in den vergangenen fünf Jahren –detailgenaue Reportagen über den zerfallenden Kontinent Europa. Damit und mit ihren Berichten und Essays versuchte sie, dem amerikanischen Isolationismus etwas entgegenzusetzen. Von 1942 bis 1943 arbeitete sie für den US-Botschafter in London, begann aber bald wieder für die Sunday Times und die Chicago Sun zu schreiben: über den Feldzug in Nordafrika und gegen Ende des Krieges von 1944 bis 1945 über die jeweilige Lage in Italien und Frankreich.
1945 heiratete sie den britischen Politiker und Journalisten Aidan Crawley und bekam drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Im September 1983 hatte das von ihrem Mann gesteuerte Auto einen Unfall – an den Folgen starb sie am 17. September 1983.
(hhb)
Quellen
Virginia Cowles / Wikipedia The Free Encyclopedia
Virginia Cowles / Dumont Buch-Verlag
Maximilian Mengeringhaus: Reise durch einen zerfallenen Kontinent / Deutschlandfunk Kultur
Ulrich Rüdenauer: Auf beiden Seiten gekämpft / taz vom 13.2.2023
Judith Mackrell: Frauen an der Front
Bücher + Schriften
Virginia Cowles: Looking for Trouble / 1941; Deutsche Ausgabe beim Dumont-Buchverlag 2023