Das "Hamburger PEN-Spektakel"

In Hamburg kam es daraufhin im Dezember 1960 zum sog. ‚Hamburger PEN-Spektakel‘ – zu einem Skandal, weil der Hamburger Polizeisenator die Veranstaltung sowie eine Pressekonferenz untersagte und die Hamburger Universität sowie die Hotels aufforderte, den bereits angereisten PEN-Mitgliedern trotz schriftlich vorliegender Raumzusagen diese wie auch die reservierten Hotelzimmer aufzukündigen.

PEN-International ist ein internationaler Autorenverband - PEN steht dabei für ‚Poets, Essayists, Novelists‘ – der 1921 zunächst in Großbritannien gegründet wurde. Inzwischen gibt es PEN-Zentren in mehr als 100 Ländern.

In Deutschland wurde die Schriftstellervereinigung 1924 als PEN-Zentrum Deutschland gegründet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich das PEN-Zentrum Deutschland 1948 neu in Göttingen. Nach der deutschen Teilung in BRD und DDR war das PEN-Zentrum von ostdeutschen Autoren geprägt, was 1951 zur Abspaltung eines PEN-Zentrums Bundesrepublik führte. Daraufhin benannte sich das ostdeutsche PEN-Zentrum 1953 in Deutsches PEN-Zentrum Ost und West um.

Im Jahr 1960 wollten die beiden deutschen PEN-Zentren wieder etwas näher zusammenrücken und über eine gesamtdeutsche Zusammenarbeit im Literaturbetrieb diskutieren. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West verlegte daraufhin seine 12. Generalversammlung nach Hamburg und mietete dort Hotelzimmer, Hörsäle in der Universität und Räume im Künstler-Club "die insel" an.

In Hamburg kam es daraufhin im Dezember 1960 zum sogenannten "Hamburger PEN-Spektakel" – zu einem Skandal, weil der Hamburger Polizeisenator die Veranstaltung sowie eine Pressekonferenz untersagte und die Hamburger Universität sowie die Hotels aufforderte, den bereits angereisten PEN-Mitgliedern trotz schriftlich vorliegender Raumzusagen diese wie auch die reservierten Hotelzimmer aufzukündigen.

hhb

 

Broschüre "PEN - Die internationale Schriftstellervereinigung ihre deutsche Geschichte ihre Aufgaben"

 

article picture

Das Spektakel um die in Hamburg geplante 12. Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost-West vom 7. bis 9. Dezember 1960

Schon laut Protokoll der 132. Kabinettssitzung vom 7. Dezember 1960 hatte Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder die geplante 12. Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost-West in Hamburg als Propaganda-Aktion der SBZ innerhalb der BRD bezeichnet: „Der Bundesminister des Innern äußert sich kritisch über die Tagung des Pen-Zentrums Ost und West, die nach Pressemeldungen in Räumen der Universität Hamburg stattfinden solle.“

-----

Die roten Dichter und Hamburgs Polizei
(aus DIE ZEIT vom 16. Dezember 1960)

Ende November erhielten verschiedene Schriftsteller und Journalisten in der Bundesrepublik eine Einladung zur 12. Generalversammlung des Deutschen PEN- Zentrums Ost-West nach Hamburg. Vorgesehen waren drei Veranstaltungen am 7., 8. und 9. Dezember. Eine über „Tolstoj“, eine zweite über den „PEN-Klub in unserer Zeit“ und schließlich eine Autoren-Lesung. Eine der drei Veranstaltungen sollte im Künstlerclub die insel stattfinden, während für die beiden anderen schon Wochen zuvor zwei kleinere Hörsäle in der Universität gemietet worden waren.

Unterzeichnet war die Einladung vom Präsidenten des PEN-Zentrums Ost-West, Arnold Zweig. Mit ihm kamen nach Hamburg verschiedene Schriftsteller gereist, deren Namen gleich dem Zweigs in den viel gerühmten zwanziger Jahren einen guten Klang hatten: beispielsweise Ludwig Renn, ferner junge Dichter und SED- Mitglieder wie Stephan Hermlin und schließlich eine Reihe von Leuten, bei denen man nicht recht weiß: Soll man sie nur zu den Funktionären rechnen oder sind sie auch noch Schriftsteller?

Nun muß man wissen, daß das Deutsche PEN-Zentrum Ost-West mit Sitz in Ostberlin im Jahre 1951 übrigblieb, als die Mehrzahl der westdeutschen Schriftsteller, geführt von Erich Kästner, sich abspalteten und das deutsche PEN-Zentrum Bundesrepublik mit Sitz in Darmstadt gründeten. Eine Reihe westdeutscher Schriftsteller und Intellektueller blieb allerdings im alten PEN-Klub. Unter den heutigen Mitgliedern: Hans Erich Nossack und Hans-Georg Brenner, der Erste Vorsitzende des Schutzverbandes deutscher Autoren Nord-West. Beide „Zentren“ sind Mitglieder des Internationalen PEN-Klubs in London.

Man konnte also gespannt sein auf diese Veranstaltung, deren allerdings eindeutig kommunistischer Charakter dadurch unterstrichen wurde, daß Wilhelm Girnus, der östliche „Staatssekretär für das Hochschulwesen“, die Gruppe begleitete. Nun würde man die geistige Elite der Zone einmal von Angesicht zu Angesicht sehen, würde ihre Argumente hören und ihnen die eigenen entgegensetzen können.

Bisher hatten sie nach Möglichkeit jede Diskussion gemieden. Sie geben Journalisten aus der Bundesrepublik nur ungern eine Einreise-Erlaubnis, sie verbieten unsere Bücher und Zeitungen in ihrer Zone, bestrafen den, der unsere Sender hört. Aber nun endlich würden sich unsere Schriftsteller und Intellektuellen einmal mit ihnen messen können – welche Chance! Welche Verantwortung!

Aber es kam anders, denn Verantwortung ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht im Westen, der sich auf die Freiheit seines Geistes einiges zugute tut. Als die Gruppe aus Ostberlin bereits in Hamburg eingetroffen war, wohlgemerkt erst, als sie eingetroffen war, erwachten die Behörden der Hansestadt aus ihrem Schlaf. (Wer mag sie wohl aufgerüttelt haben, sie, die die Plakate seit Tagen hatten hängen sehen, ohne daran Anstoß zu nehmen?) Aber nicht etwa der Schul- oder der Kultursenator ergriff die Initiative – sie wären vielleicht auf die Idee gekommen, man müsse dem kommunistischen Geist den demokratischen Geist entgegenstellen – nein, der Polizeisenator, Dr. Kröger, griff auf eigene Faust ein.

Erließ er nun wenigstens ein polizeiliches Gebot? Wies er auf bestehende Gesetze hin, denen solche Veranstaltungen zuwider laufen? Appellierte er an den Rechts- Sinn der Hamburger Bürger? Ach, nein! Er appellierte an ihren Untertanen-Sinn. Er führte ein paar Telephongespräche. Erfolg: Der Rektor der Universität rief: „Man hat mich hintergangen“; die Schulverwaltung sagte: „Wir ziehen die Hörsaal-Zusagen zurück“; der Künstlerclub die insel meinte: „In unseren Räumen nicht.“ Eine Zeitung schrieb etwas von einer „Tarnorganisation“.

Als die Besucher aus der Zone tags darauf eine Pressekonferenz in ihrem Hotel abhalten wollten, trat ein Herr vom Landeskriminalamt auf den Sprecher zu, und daraufhin erklärte dieser, die Konferenz sei verboten. Nun lud ein westliches Mitglied, Carl August Weber aus München, alle Teilnehmer der Konferenz ein, als seine persönlichen Gäste im Hotel zu bleiben. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der Geschäftsführer des Hotels warf Ost- und Westgäste alle miteinander zur Tür hinaus.

Aus, vorbei. Da kommen sie endlich einmal aus ihrem Bau heraus – prominente Dichter und Funktionäre und wollen sich stellen. Aber bei uns ist, wenn Dichter kommen, weder der Kultursenator zuständig, noch der gesunde Menschenverstand, sondern der Polizeisenator. Die Gäste von drüben wird das nicht weiter verwundert haben, denn genauso stellen sie sich die Bundesrepublik vor. Wahrlich, sie sind als Sieger abgezogen: Sie bringen die Bestätigung heim: „geistige Auseinandersetzungen werden in der Bundesrepublik von der Polizei erledigt“. Ja, es ist beschämend: Unsere Hausknechte brachten die Zonenvertreter zu Ulbrichts Räson.

Und wenn bei denen da drüben wieder einmal Studenten oder Schriftsteller murren und nach freier Diskussion „wie im Westen“ verlangen sollten, dann kann Ulbricht ihnen nun mit Fug und Recht entgegnen: „Ach, ihr meint wie in Hamburg...“

Und wenn von uns wieder einmal Studenten hinüberfahren wollen, um drüben in der Universität zu diskutieren, dann ist jenen jetzt die Ablehnung leicht gemacht: „Ihr laßt ja auch unsere Leute nicht zu Wort kommen ...“

Wer sich bisher in der Bundesrepublik in Sicherheit wähnte, dem muß nach diesem leider symptomatischen Ereignis wirklich bange werden. Denn unsere Sicherheit hängt doch weiß Gott nicht nur von unseren Verbündeten und den vereinten Verteidigungsanstrengungen ab – so notwendig dieser militärische Schutz auch ist –, wirklich stark und überlegen wissen wir uns doch nur, weil unsere Sache die bessere ist. Aber wer kann sich durch die stärkste Rüstung gesichert fühlen, wenn unsere Mitbürger und gar unsere Regierenden sich zu schwach dünken, im eigenen Lande mit dem Gegner die Waffen des Geistes zu kreuzen?

Wir bedauern es aufrichtig, daß eine Diskussion mit den Schriftstellern aus der Zone nicht stattgefunden hat. Und darum laden wir die abgewiesenen Mitglieder des PEN-Zentrums Ost-West ein, auf Kosten der ZEIT nach Hamburg zu kommen und die Themen, die sie für ihren ersten Besuch vorgesehen hatten, mit uns und einigen Schriftstellern aus der Bundesrepublik zu diskutieren. Sollte die Universität ihre Hörsäle versagen, so stehen die Redaktionsräume der ZEIT dafür zur Verfügung.

Die Redaktion der ZEIT

 

-----

Pegasus raus
(aus SPIEGEL 52/1960 vom 20.12.1960)

»Ich, der Zweig, bin denen wohl nicht grün genug«, witzelte der Dichter Arnold Zweig über das Scheitern einer PEN*-Tagung (*PEN (Poets Essaysts Novelists, 1921 in London gegründete internationale Schriftsteller- Vereinigung mit 60 Zentren in 50 Ländern), die kürzlich in Hamburg stattfinden sollte - mit »denen« meinte Zweig die hansestädtische Polizei, die den Literaten-Treff verhinderte.

Der 73jährige Zweig, Präsident des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West, wollte aus Anlaß der zwölften Generalversammlung dieser gesamtdeutschen Vereinigung - ihr gehören außer 52 mitteldeutschen auch 30 westdeutsche Autoren an - in einer öffentlichen Veranstaltung im Hörsaal H der Hamburger Universität aus seinem neuen Roman »Rechts und links« das Kapitel »Mädchenfreundschaft« lesen.

Indes: Dem geplanten Maiden-Idyll wurde in der Freien und Hansestadt der Garaus gemacht, noch ehe der international renommierte Autor sein Buch aufschlagen konnte.

Dazu Hamburgs Polizeisenator Dr. Wilhelm Kröger (SPD): »Wir sind weder gegen Arnold Zweig noch gegen die anderen Herren aus der Sowjetzone vorgegangen - wir haben lediglich einem bedrängten Hotelier Hilfe geleistet.«

Bei dem von Ulbrichts Musensöhnen malträtierten Hamburger Hotelier handelte es sich um den Geschäftsführer des »Baseler Hospiz«, Kleinhuis: Bei ihm hatten sich die sowjetzonalen Plagegeister Arnold Zweig, Stephan Hermlin, Herbert Ihering, Willi Bredel, Peter Hacks, Ludwig Renn und andere - allesamt Parade-Skripter der Sowjetzone - eingenistet. Und dieser kommunistischen Invasion wurde Kleinhuis, wiewohl gewohnt, ein großes Haus zu führen, nach Dr. Krögers Darstellung »allein nicht Herr«. Der Polizeisenator: »Wir mußten schnell eingreifen.«

In der Tat: Die von Arnold Zweig kommandierte Literatengarde, die in der Zuversicht anreiste, im Westen tun zu dürfen, was ihr im Osten seit je versagt geblieben ist, nämlich frei zu sprechen, wurde in Hamburg in Rekordzeit zum Verstummen gebracht.

Ursprünglich waren in Hamburg neben der nichtöffentlichen Generalversammlung (auf die verzichtet wurde, weil die Literatur-Funktionäre nach der unfreiwilligen Polizei-Bekanntschaft Hamburg nicht mehr als würdigen Tagungsort betrachteten) folgende öffentliche PEN-Veranstaltungen geplant gewesen:

  • eine Podiumsdiskussion über Tolstoi und Dichterlesungen mit Zweig, Hermlin, Bredel, Hacks, Anna Seghers, Ehm Welk, Peter Huchel und
  • ein Abend mit Referaten über die Bedeutung des PEN-Clubs (Redner: Zweig, Hermlin, Johannes Tralow und Professor Heinz Kamnitzer).

Mit der Hamburger Universität und dem Künstlerklub »die insel«, wo die Veranstaltungen stattfinden sollten, waren vorher ordnungsgemäß schriftliche Mietverträge abgeschlossen worden. Um so erstaunter waren die PEN-Leute, als ihnen wenige Stunden vor dem offiziellen Beginn des Treffens sowohl vom Rektor der Hamburger Universität, Professor Thielicke, als auch von der Leitung der »insel« die Räumlichkeiten verweigert wurden.

»Die Verantwortlichen (gemeint sind Vermieter) sind eben von sich aus zu der Erkenntnis gekommen, daß man so etwas heute im Westen nicht mehr machen kann«, erläutert Polizei-Kröger. Ohne jegliche Synchronschaltung behördlicherseits habe auch die Direktion des Hamburger First-class-Hotels »Vier Jahreszeiten« auf ein Aufnahme-Ansinnen abweisend reagiert, weiß Dr. Kröger zu berichten. Dazu Empfangsdirektor Krüger: »Daran stimmt nur, daß sich die Polizei nachdrücklich bei uns erkundigte, ob wir etwa die Leute beherbergen wollten.«

Nur Direktor Kleinhuis vom »Baseler Hospiz« hatte mit Unbill zu kämpfen: Auch er war - wie Kröger meint, »per Zufall« - zur gleichen Zeit wie die anderen Hamburger Saal- und Zimmervermieter zu der Überzeugung gelangt, daß Arnold Zweig und seine Feder-Krieger eine nicht geringe Gefahr für die westliche Welt darstellen, hatte aber zuvor doch - einer weltmännischen Regung seines Herzens folgend - die Dichter-Equipe bei sich aufgenommen, weil Hamburg, wie er bieder meinte, das »Tor zur Welt« sei, und die Gäste übrigens prompt bezahlten.

Das geistige Rüstzeug für die Gesamtaktion lieferte - Kröger: »Unabhängig von mir und den Vermietern« - das Redaktionsmitglied der Tageszeitung »Die Welt«, Walter Görlitz.

»Das PEN-Zentrum Ost und West«, so konstatierte »Welt«-Kulturpolitiker Görlitz, »hat mit dem internationalen PEN-Club nichts zu tun. Es ist eine kommunistisch gesteuerte Organisation.«

Um sich gegen diesen öffentlich erhobenen Vorwurf zu wehren, hatte der im »Baseler Hospiz« residierende PEN-Vorstand wenige Stunden nach Erscheinen des Görlitzschen Alarm-Artikels beschlossen, die Presse in einer eilig einberufenen Konferenz aufzuklären. Den DDR-Schreibern mußte an einer solchen öffentlichen Unterrichtung gelegen sein, weil es ihnen um internationales Prestige geht, den West-Schreibern - mit Günther Weisenborn, Hans Erich Nossack und Hans Georg Brenner an der Spitze -, weil sie nicht »mit den Ostleuten vermanscht werden« (Brenner) wollen.

Die Pressekonferenz war für elf Uhr angesetzt: 32 Journalisten rückten pünktlich mit Stenoblock und Bleistift an. Um 11.05 Uhr schlug dem Direktor Kleinhuis das bundesrepublikanische Gewissen: Er rief die Ordnungshüter, »wie eben ein Wirt die Polizei zu rufen pflegt« (Dr. Kröger).

Auf den Notruf des Kleinhuis traf nun freilich nicht das übliche Anti-Zechpreller- Kommando ein, sondern der kompetentere Kriminalrat Müller vom hamburgischen Landeskriminalamt. Rat Müller erklärte der Versammlungsleitung um 11.15 Uhr - der greise Arnold Zweig hatte gerade den Journalisten für ihr Kommen gedankt -, daß der Hotelier Kleinhuis von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen wünsche.

Müller sah keine dienstliche Veranlassung, zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Zeit zwischen dem Anruf des Kleinhuis und dem Eintreffen der Staatsgewalt von dem Leipziger Professor Wieland Herzfelde ein Telegramm aus London verlesen wurde, in dem der Generalsekretär des internationalen PEN-Clubs feststellte: »Bestätige, deutsches PEN-Zentrum Ost und West ist Vollmitglied des internationalen PEN- Clubs. David Carver.«

Dieser Bestätigung hätte es eigentlich nicht bedurft, weil außer Frage stand, daß 1951, als sich das nach dem Kriege mit Hilfe Thomas Manns von 20 namhaften deutschen Autoren wiederbegründete einheitliche deutsche PEN-Zentrum - in ein »Deutsches PEN-Zentrum der Bundesrepublik« (Präsident: Erich Kästner) und das »Deutsche PEN-Zentrum Ost und West« (Präsidenten: Johannes Tralow und Arnold Zweig) spaltete, beide Zentren in London anerkannt wurden - das Zentrum Ost und West zwangsläufig schon deshalb, weil damals eine große Anzahl von Gründungsmitgliedern sich für diese Gruppe entschied.

Dieser Tatbestand wurde in Hamburg souverän ignoriert und die Görlitzsche Sprachregelung, daß es sich bei dem Ost-West-Zentrum um eine kommunistische Tarnorganisation handele, bedenkenlos akzeptiert: Es stand in der »Welt«, und dabei blieb es.

Im Hamburger Rathaus wurde lediglich als Schönheitsfehler empfunden, daß die Legende von dem völlig selbständigen, ungelenkten Handeln der Gastgeber, die zunächst bereit waren, die PEN-Leute aufzunehmen, diesen »aus eigenem Antrieb« (Dr. Kröger) später freilich die Tür wiesen, keine Legende blieb. Plauderte Hotelier Kleinhuis: »Die Senatskanzlei legte mir telephonisch nahe, ich solle von meinem Hausrecht Gebrauch machen.« Um Mißlichkeiten zu vermeiden, die aus etwaiger Nichtbeachtung des Behörden-Winks entstehen konnten, überwachte Kriminaler Müller die gewissenhafte Ausübung des Hausrechts im »Baseler Hospiz«.

Besonders peinlich mußte wirken, daß ausgerechnet die amerikanische Nachrichten-Agentur AP die Hamburger Polizeitaktik gegenüber dem östlichen Poeten-Ansturm öffentlich preisgab:

Ein »Kriminalbeamter (machte) den Geschäftsführer des Hotels auf den kommunistischen Charakter der (PEN-) Organisation aufmerksam und wies darauf hin, daß die Versammlung verboten werden würde«.

Als dann auch noch der Hamburger Korrespondent der »Frankfurter Allgemeinen«, Klaus Wagner, zu lamentieren anhob, weil er »zum erstenmal in seinem Leben aus einem Hotel verwiesen worden ist«, und die FAZ die Kriminalpolizei belehrte – »Nicht jeder als Pegasus aufgezäumte Gaul, der sich vor politisch befrachtete Karren spannen läßt, ist ein trojanisches Pferd -, ergriff der CDU-Bundestagsabgeordnete und Verleger der Wochenzeitschrift »Die Zeit«, Gerd Bucerius, die Chance, etwas für Hamburgs Ruf als einer weltoffenen Stadt zu unternehmen.

Polemisierte »Die Zeit« gegen den Polizeisenator Dr. Kröger: »Erließ er ... wenigstens ein polizeiliches Gebot? Wies er auf bestehende Gesetze hin, denen solche Veranstaltungen zuwider laufen? Appellierte er an den Rechts-Sinn der Hamburger Bürger? Ach, nein! Er appellierte an ihren Untertanen-Sinn. Er führte ein paar Telephongespräche.«

Weil in Hamburg, »wenn Dichter kommen, weder der Kultursenator ... noch der gesunde Menschenverstand, sondern der Polizeisenator (zuständig ist)«, beschloß CDU-Bucerius, sich durch eine publikumswirksame Papier-Deklamation von SPD-Kröger vorteilhaft abzuheben: »Die Zeit« lud die Arnold-Zweig-Mannschaft ein, auf Kosten des Bucerius-Verlages noch einmal nach Hamburg zu kommen und hier in den Redaktionsräumen der Wochenschrift zu parlieren.

Auslöser des polizeilichen Einschreitens gegen die geplante Mitgliederversammlung des ‚PEN-Zentrums Ost und West‘ war wahrscheinlich auch ein Artikel von Walter Görlitz in der WELT vom ...

Über besagten Walter Görlitz notierte der SPIEGEL 37/1962 am 11. September 1962:

Walter Görlitz, 49, Kulturpolitiker der »Welt« ("Griff in die Geschichte"), wurde von der Hamburger Studentenzeitschrift »Konkret« in einem Beitrag gewürdigt, in dem unter anderem ein Gedicht aus dem Jugendwerk des Schriftstellers wiedergegeben wurde:

Ein Genius ist uns erstanden, ein Stern am Himmelszelt;
er hat den schwersten Kampf bestanden.
Heil Hitler! Unser Held!

Walter Görlitz war nicht nur ab 1955 Leiter des Ressorts Kulturpolitik in der Redaktion von ‚DIE WELT‘ und ab 1968 Leiter des Ressorts Zeitgeschichte, sondern auch ein umtriebiger Schriftsteller. Hier einige seiner Bücher:

  • Mussolini – Sendung und Macht (Geschichte eines Lebens). Leipzig 1939
  • Die Junker – Adel und Bauer im deutschen Osten. Geschichtliche Bilanz von 7 Jahrhunderten. Glücksburg 1956
  • Adolf Hitler (= Persönlichkeit und Geschichte; Bd. 21/22). Göttingen 1960
  • Generalfeldmarschall Keitel – Verbrecher oder Offizier? Muster-Schmidt-Verlag 1961 n Kleine Geschichte des deutschen Generalstabes. Berlin 1967
  • Karl Dönitz – Der Großadmiral Muster-Schmidt-Verlag 1972 n Model : Strategie der Defensive. Wiesbaden 1975

-----

Noch einmal: das Hamburger Verbot
Stellungnahmen der Universität und des Pen-Zentrums Ost und West
(aus: DIE ZEIT 2/1961 vom 6.1.1961)

In der Nummer 51 der ZEIT vom 16. Dezember 1960 schilderten wir, wie das PEN- Zentrum Ost und West daran gehindert wurde, seine 12. Generalversammlung in Hamburg abzuhalten. Der Polizeisenator hatte dafür gesorgt, daß eine Pressekonferenz im Hotel Basler Hospiz nicht stattfinden konnte, und daß der Künstlerclub die insel den für eine Veranstaltung zur Verfügung gestellten Raum zurückzog. Die Universität hatte dem PEN-Zentrum zwei Hörsäle für zwei Veranstaltungen überlassen, zog ihre Zusage aber im letzten Moment zurück, und zwar unabhängig von der Aktion des Polizeisenators und nicht, wie wir zunächst einem Telephongespräch mit dem Polizeisenator entnommen hatten, auf dessen Veranlassung hin.

Der Rektor, Professor Thielicke, teilte uns dies mit (siehe Nummer 52 der ZEIT) und fügte hinzu, daß er von der Polizeiaktion erst durch die Presse erfahren habe. Wir veröffentlichen hier weitere Stellungnahmen aus Hamburg und Berlin.

... Als eine Abordnung des PEN-Zentrums Ost-West bei mir war, um mich umzustimmen, habe ich folgendes erklärt: Die Universität hätte es begrüßt, wenn eine Diskussion stattfinden würde, wenn wir also – um die ZEIT zu zitieren – „ihre Argumente hören und ihnen die eigenen entgegensetzen können“. Eben das war aber gerade nicht geplant. Man wollte uns vor eine einseitige Kundgebung stellen. Dazu kam, daß der Name von Ernst Bloch, der mitdiskutieren sollte und durch dessen Dabeisein mein zunächst gegebenes Ja mit bestimmt war, auf Plakaten und Einladungen nicht mehr auftauchte. Dies allein sind die Gründe, aus denen ich dem PEN-Zentrum Ost und West die Hörsäle sperren ließ

gez. Thielicke

 

Das Sekretariat des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West schrieb:

  1. Es ist unrichtig, daß eine Abordnung des PEN-Zentrums Ost und West beim Rektor der Universität war, um ihn umzustimmen. Es war vielmehr so, daß am Vormittag des 7. Dezember das Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrums Ost und West Professor Wieland Herzfelde den Rektor nicht antraf und daher mit dem Syndikus der Universität Dr. Münzer und Herrn Dr. Meins von der Hochschulabteilung des Hamburger Senats sprach. Absicht des Gesprächs war, durch Klarlegung einiger Sachverhalte die Irrtümer zu beseitigen, welche die Universität am Vorabend veranlaßt hatte, von den schriftlich fixierten Mietverträgen für zwei „literarische Veranstaltungen“ kurzfristig zurückzutreten.

    Es wurde eine Zusammenkunft mit dem Rektor in gleicher Sache für den Nachmittag vereinbart, zu dem seitens des Präsidiums des PEN-Zentrums in Vertretung des durch die Beisetzung Ernst Rowohlts verhinderten Professor Herzfelde Herr Professor Dr. Heinz Kamnitzer kam. An beiden Gesprächen nahm für das Sekretariat des Zentrums Frau Ingeburg Kretzschmar teil.
     
  2.  Es ist unrichtig, daß eine Diskussion nicht geplant war und man die Universität vor eine einseitige Kundgebung stellen wollte. Vielmehr war es so, daß bezüglich des Podiumsgespräches über „Tolstoj – die Krise der Kunst und wir“, das in der Universität stattfinden sollte, die Beteiligung der Zuhörer an der Diskussion von den Vertretern der Universität niemals verlangt wurde, dagegen schon in der Vorverhandlung vom PEN-Zentrum als integrierender Bestandteil der Veranstaltung angekündigt wurde: „Die Teilnehmer am Podiumsgespräch werden auf Fragen antworten.“
     
  3. Es ist unrichtig, daß die Nennung von Namen Mitdiskutierender das zunächst gegebene Ja des Rektors beeinflußt hätten.

    Vielmehr rief Herr Regierungssekretär Bonnichsen von der Senats- Hochschulverwaltung nach Abschluß des Mietvertrages beim Berliner Sekretariat des PEN an, um nachträglich eine ungefähre Rednerliste zu erfahren. Nur in diesem Zusammenhang wurden Namen genannt, darunter auch die eventuelle Beteiligung von Bloch und Seghers, die später jedoch durch Krankheit verhindert waren. Bei Abschluß der Mietverträge spielte die Rednerliste keine Rolle, der Mietvertrag lautete in der Ausfertigung der Universität jeweils auf „eine literarische Veranstaltung“

 

Stellungnahme der Universität Hamburg zu der Darstellung des PEN-Zentrums Ost-West

Zu 1) Die vom PEN-Zentrum Ost-West gegebene Darstellung des Besuches zweier Delegationen bei dem Syndikus und bei dem Rektor der Universität trifft im wesentlichen zu. Diese Darstellung widerlegt aber nicht die als unrichtig bezeichnete Behauptung, daß die Abordnungen die Absicht hatten, den Rektor der Universität umzustimmen. Die mit dem Syndikus und später mit dem Rektor der Universität geführten Gespräche gingen zwar auch darum, „durch Klarlegung einiger Sachverhalte Irrtümer zu beseitigen“; sie hatten aber erklärtermaßen das Ziel, die Freigabe der Hörsäle zu erwirken, also den Rektor umzustimmen.

Zu 2) Es ist unrichtig, daß vom PEN-Zentrum schon in der Vorverhandlung „als integrierender Bestandteil der Veranstaltung“ angekündigt wurde: „Die Teilnehmer am Podiumsgespräch werden auf Fragen antworten.“ Die der Universität vorliegenden schriftlichen Unterlagen über die Vorverhandlungen enthalten diesen Vermerk nicht. Auch auf den gedruckten Einladungen zu den geplanten Veranstaltungen des PEN-Zentrums ist nichts dergleichen zu finden.

Für das Podiumsgespräch über „Tolstoj – die Krise der Kunst und wir“ hat die Universität die Beteiligung der Zuhörer an der Diskussion tatsächlich nicht verlangt, wie sie überhaupt weniger Wert darauf legt, daß die Zuhörer beteiligt werden, als darauf, daß eine paritätische Beteiligung am Podiumsgespräch selbst vorgesehen wird.

Der Verzicht auf diese Forderung für das Podiumsgespräch über Tolstoj beruht auf der vorher zugesicherten Teilnahme solcher im Westen angesehener Persönlichkeiten wie Herrn Professor Dr. Ernst Bloch.

Daß man die Universität vor eine einseitige Kundgebung stellen wollte, mußte diese insbesondere daraus schließen, daß das PEN-Zentrum Bundesrepublik in Darmstadt, wie eine Anfrage dort ergab, von dem beabsichtigten Symposium über „Der PEN- Klub in unserer Zeit“ nicht unterrichtet war und hierzu keine Einladung erhalten hatte. Daß schließlich die Veranstaltung über „Der PEN-Klub in unserer Zeit“ ohne Wissen der Universität mit einer Dichterlesung ausgetauscht werden sollte, für die ausschließlich solche Dichter vorgesehen waren, die zum ideologischen Bereich kommunistischer Staatsformen gehören, mußte die Universität als Bestätigung ihrer Auffassung ansehen.

Zu 3) Wodurch das zunächst gegebene Ja des Rektors beeinflußt war, können die Mitglieder des PEN-Zentrums Ost und West nicht wissen. Die Zusage zur Vermietung zweier Hörsäle für „literarische Veranstaltungen“ war zunächst von den ausführenden Verwaltungsstellen im routinemäßigen Verwaltungsgang gegeben worden. Nachträglich aufgekommene Bedenken, die sich insbesondere daraus ergaben, daß sich der Schriftverkehr nicht über die Münchener, sondern über die Berliner Anschrift des PEN-Zentrums Ost und West abwickeln sollte, veranlaßten zur Anforderung der Teilnehmerlisten. Erst in diesem Stadium wurden der Rektor und der Syndikus der Universität eingeschaltet. Das nunmehr gegebene Ja des Rektors beruhte hinsichtlich der Veranstaltung über Tolstoj allerdings vorwiegend auf der vorgesehenen Teilnahme des Herrn Professor Dr. Bloch.

Dr. Münzner, Syndikus der Universität

article picture

Copyright: NDR

Im April 1961 kommt es dann, auf Einladung des Verlegers Gerd Bucerius, doch noch zu dem im Vorjahr polizeilich unterbundenen Streitgespräch zwischen Autoren aus Ost und West – dokumentiert in dem Büchlein ‚Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein- Sager - Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West‘ , 1961 bei Rütten & Loening von Josef Müller-Marein und Theo Sommer auf Grund von Tonbandprotokollen herausgegeben. Nach 50 Jahren wurde es 2011 neu aufgelegt.

 

Information der Bundeszentrale für politische Bildung

Information der Bundesstiftung Aufarbeitung

Deutschlandfunk Kultur: Das deutsch-deutsche Schriftstellertreffen vor 50 Jahren im Schatten der Ost-West-Konfrontation

Rezension des Buches "Ja-Sager oder Nein-Sager", Hrsg: Dr. Jens Thiel

article picture