Wie die Deutschen noch den Umgang mit der Pressefreiheit lernen müssen
Der Spiegel Nr. 18, 2. Mai 1947
In der letzten Sitzung des hessischen Landtags hat es die Presse gewagt, zu lächeln. Sie wurde dafür aufgeschrieben. Der Landtagspräsident ließ die Namen der Lächelnden feststellen. Im Aeltesten-Rat wurde ernsthaft die Absicht diskutiert, den Vertretern des »Wiesbadener Kurier« und der »Gießener Freien Presse« die Ausweise zu entziehen. Man besann sich eines Besseren.
Warum war der Landtag so wütend? In grimmigen Ausfällen hatten Abgeordnete der SPD und CDU der lizenzierten Presse Unsachlichkeit vorgeworfen. Georg Stieler (CDU) erboste sich: »Vom Minister bis zum Dorfpolizisten ist jeder den Angriffen der Presse ausgesetzt«. Rudolf Freidhoff (SPD) sprach von einem schwarzen Tag für die Presse, und Christian Wittrock aus Kassel (SPD) setzte Pressefreiheit mit Pressefrechheit gleich. Ein kommunistischer Abgeordneter rief ironisch: »Sie sind gegen die Pressefreiheit?«. Von den SPD-Bänken scholl es zurück: »Wir sind gegen die Pressefrechheit!«
Was hatten die Zeitungen den regierenden Parteien getan? Da ist ein ganzer Sack voller Vorwürfe. Man wirft der Presse vor, sie bringe die Parlamentsberichte nicht ausführlich genug. Aber die Zeitungen haben nicht genug Papier.
Man sagt, den Vertretern der Opposition werde mehr Raum gegeben als den Regierungsparteien. Aber in der »Frankfurter Neuen Presse« stellte Wilhelm Pörzgen, der Wiesbadener Redakteur des Blattes, fest: »In Wirklichkeit liegt die Sache genau umgekehrt: Opposition bevorzugt die Presse. Sie zieht sie heran, wo immer es etwas Neues zu erfahren gibt. Sie hat spät Zeit für Pressevertreter und gibt alle gewünschten Auskünfte. Sie ist in vielen wichtigen Dingen, die einzige Möglichkeit für den Journalisten, sich zu informieren.«
Emil Carlebach, kommunistischer Landtagsabgeordneter und Lizenziat der »Frankfurter Rundschau«, bezeichnet den ganzen Lärm als reinen Ausfluß der Nervosität der Regierungsparteien und ihrer Fehler.
Ministerpräsident Christian Stock meinte nachher zu Presseleuten, sowohl Parteivertreter wie Journalisten hätten noch einiges zu lernen. Seiner Ansicht nach seien jedoch die hessischen Zeitungen hinreichend überparteilich.
Im bayerischen Landtag war es ebenfalls hoch hergegangen. Der SPD-Abgeordnete Waldemar von Knörringen fand die Formel: »Unsere Heimat ist ein Dschungel geworden, in dem niemand mehr sicher ist, im nächsten Augenblick von seinem politischen Gegner abgeschossen zu werden«. Die Anwürfe begännen bei der Lizenz eines Krämerladens und hörten beim Ministerpräsidenten auf.
Dr. Gerhard Kroll (CSU) pflichtete ihm bei: »Wir müssen dagegen Stellung nehmen, wenn einzelne Journalisten glauben, ihre Zeitung zu einem Terrorinstrument ausbauen zu können«. Und der WAV -Gefolgsmann Möllerer, Loritzens engster Mitarbeiter, murrte, man solle den Zeitungen, die nicht spurten, das Papier entliehen.
Ministerpräsident Ehard erklärte sich damit einverstanden, der Presse als Blitzableiter zu dienen. Er habe nicht den Eindruck, daß die Presse vernünftige, sachliche Arbeit nicht unterstütze. Aber auch er hielt die Einführung von Parteizeitungen neben den bestehenden für erforderlich.
In Stuttgart waren es wiederum die Kommunisten, die sich an dem allgemeinen Kesseltreiben nicht beteiligten. Den Frontalangriff auf die Lizenzpresse führte der Abgeordnete Zimmermann. Er gehört der SPD an, die in jeder lizenzierten »Tages« -Zeitung Württemberg-Badens einen Lizenzträger stellt. Zimmermann zitierte eine Aeußerung, wonach an vielen Zeitungen Männer säßen, die ins Gefängnis gehörten.
Joseph Beyerle von der »Stuttgarter Zeitung« entgegnete, wenn bei den Männern des öffentlichen Lebens dieselben strengen Maßstäbe angewandt würden wie bei den Lizenzträgern, dürften viele dieser Männer in einer Lizenzzeitung nicht einmal als Hilfskraft beschäftigt sein. (In Württemberg-Baden hat jede der vier Parteien ein Mitteilungsblatt: CDU 44 000, SPD 55 000, DVP 47 000, KPD 100 000 wöchentlich.)
Während sich in der britischen Zone Bestrebungen anzeigen, die Parteipresse auf wirklich wesentliche Organe zu beschränken und daneben überparteiliche Zeitungen aufzumachen, sind in der US-Zone schon länger Bemühungen erkennbar, die bestehenden überparteilichen Gruppenzeitungen zugunsten von Parteizeitungen einzuschränken. In beiden Zonen sind nahezu alle Parteien bemüht, irgendeine Kontrolle über den Rundfunk in die Hand zu bekommen.
Die Leser ihrerseits möchten überwiegend die Gruppenzeitung, sofern sie sie kennengelernt haben. Eine Umfrage der amerikanischen Militärregierung erbrachte 77 Prozent der Stimmen für die überparteiliche, 8 Prozent für die Parteipresse. Radio Stuttgart, dem nach einer Diskussion zahlreiche Hörerbriefe zugingen, meldete, daß sich von 62 Hörern nur 2 für die Parteipresse, 53 hingegen für die »Lizenz-Presse« ausgesprochen hätten.
Der »Mannheimer Morgen« (wie auch der »Weser-Kurier« in Bremen) legte seinen Lesern zu Ostern einen 5-Fragen -Bogen vor, der auch richtig von 2194 Lesern beantwortet wurde. Dabei waren 1827 Stimmen (83,3 Prozent) gegen die Parteizeitung.
Der Lizenzträger des »Mannheimer Morgen«, Karl Vetter, weist darauf hin, daß die Volksvertreter gleichwohl entgegen dem nachgewiesenen Wunsch der Wähler (oder Leser) für die Parteipresse plädieren. Unter Berufung darauf, daß sie ja die Volksvertreter seien.
»Beide Aufgaben (Selbstverwaltung und Publizistik) in eine Hand zu geben«, schreibt Vetter, »heißt den Buchhalterposten mit dem des Kassierers zusammenlegen«.