Willi Münzenberg war im Berlin der 20er Jahre ein kommunistischer Pressemagnat und entschiedener Widersacher von Hugenberg. Der Geheimrat hatte damals alles, was einst dem Verleger August Scherl gehörte, mit Hilfe von Ruhr-Baronen an sich gerissen. Scherls einst überparteiliche Zeitungen wurden von Hugenberg Schritt für Schritt in Sprachrohre zunächst für die Deutschnationale Partei und dann in Propaganda-Organe für Adolf Hitler umgewandelt. Dagegen leistete Münzenberg energisch publizistischen Widerstand.
Wilhelm Münzenberg wurde am 14. August 1889 in Erfurt als Sohn eines Dorfgastwirts geboren. Unregelmäßig besuchte er verschiedene Dorfschulen und 1903/04 die Volksschule in Gotha. Danach begann er eine Barbierlehre, die er aber abbrach. Als ungelernter Arbeiter verdingte er sich in Erfurter Schuhfabriken. Nachdem er 1906 Agitator für die Freie Jugend Erfurt geworden war, ein Arbeiterjugendverein, verlor er dort alle diese Gelegenheitsjobs.
Darum wurde er zum Wanderburschen und gelangte so auch in die Schweiz, wo er als Zapfer in einem Hotel und von 1910 bis 1913 als Austräger für eine Zürcher Apotheke arbeitete. Auch hier schloss er sich einer sozialistischen Jugendorganisation an. Die wählte ihn 1912 in den Vorstand und machte ihn zum Redakteur ihrer Monatszeitschrift Die Freie Jugend.
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Während des Ersten Weltkriegs blieb Münzenberg in der Schweiz, ab 1915 als Sekretär der neu gegründeten IVSJO Internationale Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen. Als Kampf- und Propagandazeitschrift verlegte man die Jugend-Internationale. Bei all dieser Arbeit lernte Münzenberg Wladimir J. Lenin näher kennen. Der lebte damals im Schweizer Exil und erkannte die Fähigkeiten des jungen Mannes rasch und spannte ihn in seine Parteiarbeit ein.
1917 wurde Münzenberg als angeblicher Rädelsführer einer außer Kontrolle geratenen Demonstration anlässlich der russischen Oktoberrevolution verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Unmittelbar nach Kriegsende schob ihn die Schweiz am 10. November 1918 als „missliebiger Ausländer“ nach Deutschland ab.
Dort schloss er sich dem Spartakusbund an, aus dem am 1. Januar 1919 die KPD hervorging. Münzenberg gehörte zu ihren Gründungsmitgliedern und wurde Vorsitzender nun der KJI Kommunistische Jugendinternationale. Die KJI war als Vereinigung aller kommunistischen Jugendverbände der Welt gegründet worden und eine Sektion der Komintern. Ihr Sitz war allerdings Berlin, was die Kontrolle durch den Komintern aus der Sowjetunion erschwerte.
Folglich wurde die KJI 1921 nach Moskau verlegt und Münzenberg als ihr Generalsekretär abgesetzt. Von Lenin aber erhielt er den Auftrag, eine Internationale Arbeiterhilfe für die Sowjetunion zu organisieren. Was ihm eine herausgehobene Position in Komintern und KPD verschaffte und ihm weitgehend unabhängiges Handeln ermöglichte.
Münzenberg gründete zunächst die Illustrierte Sowjetrussland im Bild, die nach Lenins Tod im Jahr 1924 in AIZ Arbeiter Illustrierte Zeitung umbenannt wurde.
Die KPD hatte nach der November-Revolution von 1918 als Parteiorgan Die Rote Fahne, ein journalistisch schlecht gemachtes weil doktrinäres und humorloses Blatt. Es konnte dem sozialdemokratischen Vorwärts nicht das Wasser reichen. Dazu kamen noch zwei kleine Tageszeitungen, Volkswacht und Volks-Echo.
Diese Schwäche für die Propaganda erkannte Münzenberg sofort und gründete mit Hilfe der von ihm organisierten Internationalen Arbeiterhilfe gut lesbare Zeitungen und Zeitschriften. Das waren Berlin am Morgen und Welt am Abend, die bald weit über die kommunistische Arbeiterschaft hinaus gelesen wurden. Seine Arbeiter-Illustrierte wuchs auf fast 500.000 Exemplare, dazu kamen noch die Zeitschrift Roter Aufbau, die Universum Bibliothek und ein Filmverleih. Auch der Eulenspiegel entstand hier. Nicht zu vergessen der Neue Deutsche Verlag mit seiner umfangreichen Buchproduktion, den seine Lebensgefährtin Babette Gross leitete.
Der Journalist und Kritiker Georg Ziviers schrieb dazu rückblickend: „Anders als im Haus der „Roten Fahne“, wo auf strammen kommunistischen Ton gehalten wurde, waren die Sitten und Gebräuche in Münzenbergs Zentrale in der Wilhelmstraße. Man vermied die Anrede Genosse und andere harte Gesprächsgewohnheiten, man kleidete sich nach der Mode und frühstückte mit prominenten Mitarbeitern bei Kempinski. Man traf in seinen Vorzimmern Ausländer von Rang und Ansehen, die oft keineswegs Kommunisten waren und möglicherweise nicht wußten, daß sie in einem von Moskau dirigierten Institut zu Gast waren.“ Wobei durchaus bezweifelt werden darf, dass sich Münzenberg von Moskau hat dirigieren lassen!
Münzenberg gehörte von 1924 bis 1933 dem Zentralkomitee der KPD an und war Abgeordneter im Reichstag. 1925 baute er die Liga gegen Imperialismus auf, auch gedacht als Unterstützung der Freiheitskämpfe gegen den Kolonialismus.
Stalin, dem er mehrmals persönlich begegnete, war ihm suspekt, zumal als der 1931 von der KPD verlangte, einen vom „Stahlhelm“ initiierten Volksentscheid zwecks Auflösung des Preußischen Landtags zu unterstützen und so die SPD-Regierung abzulösen. Damit wurde die demokratische Linke endgültig auseinanderdividiert. Zu jener Zeit begannen zudem in Moskau die großen Schauprozesse gegen verdiente Bolschewisten und Stalins großer Säuberungs-Terror.
Nach Hitlers Machtergreifung organisierte Münzenberg am 19. Februar 1933 noch zusammen mit der SPD in der Kroll-Oper den Kongress „Das freie Wort“ gegen die Einschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit, die durch Verordnung von Hindenburg „zum Schutze des Deutschen Volkes“ erlassen worden war. Anschließend floh er vor den Nazis nach Paris und nicht nach Moskau.
Dort wurde am 1. August 1933 sein „1. Braunbuch“ über den Reichstagsbrand vorgestellt, noch vor dem Prozess, der erst am 21. September begann. Inzwischen war Münzenberg ausgebürgert worden. Der Titel „Reichstagsbrand und Hitlerterror“ – in der von Münzenberg gegründeten Editions du Carrefour. Darin wurde die Behauptung widerlegt, der Reichstag sei von den Kommunisten in Brand gesetzt worden – mit gut recherchierten Beweisen, aber auch Unterstellungen und reinen Erfindungen, wie die von der NS-Gegenseite. Im Jahr darauf erschien „Das Blaubuch“ über die NS-Morde nach dem angeblichen Röhm-Putsch. Diese Bücher wurden unter falschem Namen auch nach Deutschland geschmuggelt, als Reclam-Texte oder als eine Englische Grammatik angeblich aus Leipzig.
Seine in Deutschland verbotene AIZ Arbeiter Illustrierte Zeitung wurde von ihrem Chefredakteur Franz Carl Weiskopf in Prag weitergeführt. Sie übte ebenfalls Widerstand vom Exil aus und änderte 1936 ihren Namen in Volks-Illustrierte. Nach der Besetzung des Sudetenlandes im Sommer 1938 stellte sie ihr Erscheinen ein.
Münzenberg gründete 1938 in Paris zusammen mit Arthur Köstler eine neue Zeitschrift Die Zukunft und warb darin für eine Einheitsfront gegen den Faschismus. Sie wurde zusammen mit antifaschistischer Literatur vom Sebastian-Brant-Verlag in Straßburg herausgegeben.
Da hatte sich Willi Münzenberg längst zum Abtrünnigen vom Komintern entwickelt. Moskau hatte seit 1928 keine Zusammenarbeit mehr mit der SPD geduldet. Ideologisch herhalten musste dafür die sogenannte „Sozialfaschismusthese“, nach der die Sozialdemokratie am linken Rand des Faschismus verortet wurde. Damit war eine Einheitsfront gegen die Nationalsozialisten ausgeschlossen. „Sozialfaschismus“ war zwischen 1929 und 1934 zu einem Kampfbegriff der KPD geworden. Daran hatte Münzenberg Kritik geübt und angesichts der stalinistischen Säuberungen weitere Reisen nach Moskau, zu denen ihn auch Walter Ulbricht drängte, vermieden.
1939 trat Münzenberg endgültig aus der KPD aus und veröffentlichte seinen Austritt am 10. März in seiner neuen Zeitschrift Die Zukunft/Ein neues Deutschland/Ein neues Europa! Er gründete die Partei „Freunde der sozialistischen Einheit“. Den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 bezeichnete er als russischen Dolchstoß und nannte Stalin einen Verräter.
Im Mai 1940, nach dem Einmarsch der Wehrmacht durch Holland und Belgien, ließ sich Münzenberg im Lager Stade de Colombes nordwestlich von Paris internieren. So hoffte er mit anderen Emigranten nach Südfrankreich verbracht zu werden. Was auch geschah. Von dort wollte er sich allein nach Marseille durchschlagen und Frankreich per Schiff verlassen. Wahrscheinlich aber machte er sich auf den Weg Richtung Schweiz, wo er mehrere Freunde hatte.
Jedenfalls wurde er im Département Isère in einem Waldstück nahe Saint-Marcellin im Oktober 1940 tot aufgefunden – gestorben war er viel früher, wahrscheinlich bereits im Juni 1940. Wie er zu Tode kam ist bis heute ein Rätsel: Die Spekulationen darüber reichen von Suizid – eher unwahrscheinlich – über Mord durch die Gestapo bis zum stalinistischen Fememord.
(hhb)