Alfred Polgar

Polgar war speziell in der Weimarer Zeit ein viel gelesener Erzähler und als Journalist ein geschätzter Feuilletonist und Berichterstatter. Für die Medien galt er als „Meister der kleinen Form“ – seine pointierten Sozialkritiken, seine Berichte aus Gerichtssälen oder Theatern waren voller Witz und ohne ideologische Vorbehalte. Marcel Reich-Ranicki nannte Polgar „den leisen Meister“„er erzählte vom Theater, und er rezensierte den Alltag.“

Alfred Polgar wurde am 17. Oktober 1873 in der Wiener Leopoldstadt geboren, als jüngster Sohn der jüdischen Musiker-Familie Polak, die in Wien eine Klavierschule betrieb. Den Geburtsnamen Polak behielt er bis ins Jahr 1914 – dann erst ließ er seinen Namen von Polak in Polgar ändern. Ungarisch bedeutet ‚polgár‘ Bürger.

Alfred Polak besuchte in Wien zunächst die Volksschule und anschließend die Unterstufe des Leopoldstädter Realgymnasiums. 1889 war er Schüler einer privaten Handelsschule. Ein Bonmot von ihm über seine Heimatstadt: „Ich muss über diese Stadt ein vernichtendes Urteil abgeben: Wien bleibt Wien.“ 

 

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1895 wurde er Redaktionsmitglied der Wiener Allgemeinen Zeitung, einem an Werktagen abends erscheinenden liberalen Blatt. Für die WAZ berichtete er anfangs über Gerichtsprozesse und aus parlamentarischen Sitzungen. Im August dieses Jahres erschien sein erster Artikel unter dem Pseudonym Alfred von der Waz in der sozialistischen Monatsschrift Die Zukunft, die im Habsburger Reich wegen gelegentlich sogar anarchistischer Tendenzen unter strenger Beobachtung stand.

Der elegante Stilist Polak gehörte bald zur Feuilleton-Redaktion der WAZ und arbeitete dort im Theater- und Musikbereich. Also unter dem schwarzen Balken, der damals im Druckbild des Zeitungswesens das Feuilleton von den Meldungen darüber trennte. Gezahlt wurden Zeilenhonorare, und die waren nicht sonderlich hoch. Darum schrieb Polak, wie er noch immer hieß, ab 1905 regelmäßig auch für Siegfried Jacobsohns Die Schaubühne. Für die Zeitschrift, die 1918 in Die Weltbühne umgetauft wurde, verfasste er knapp 750 Beiträge.

Außerdem erdachte er Sketche und Grotesken für das literarische Kabarett „Fledermaus“ in der Kärntnerstraße. Und bearbeitete Nestroy-Possen oder übersetzte Theaterstücke, etwa Molnárs „Liliom“ aus dem Ungarischen.

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er im K.u.K.-Kriegsarchiv und schrieb nebenher weiter für Zeitungen. Danach wurde Alfred Polgar zunächst Feuilletonchef der neu gegründeten Tageszeitung Der Neue Tag und schrieb aber auch für das Tage-Buch seines Freundes Stefan Großmann. Ab 1921 bis 1926 zusammen war er mit Egon Friedell Herausgeber der jährlichen Zeitungsparodien im Böse Buben Journal. Immer zu Fasching verfassten sie – unter der gemeinsamen Herausgeberschaft „Polfried“ – ihre als Böse Buben-Blätter bezeichneten Parodien und Polemiken. 1921 nahm ihr Böse Buben Journal das konservative Neue Wiener Journal aufs Korn; im Jahr darauf mokierten sie sich in Böse Buben Presse über das Pressewesen generell, ergänzt durch boshafte Seitenhiebe auf die aktuelle Politik, die Kunst, auf Schriftsteller oder Theatermacher. 1926 erschienen ihre Faschingsparodien nun als Böse Buben Komödie zum letzten Mal.

In jenen Jahren schrieb Polgar auch seinen „Leitfaden für Polemiken“, der 1928 veröffentlicht wurde. Darin war zu lesen: „Polemiken müssen sein, zumal in der Zeitung, die ja ihren Lesern Unterhaltung schuldet. Wenn da zwei sich streiten, freuen sich Tausende. Polemiken zwischen Schriftstellern sind besonders erquickend, weil sie mit besonderer Bosheit geführt werden.“

In der Zeit danach pendelte Polgar zwischen Wien und Berlin. Schrieb für das Berliner Tagblatt und das Prager Tagblatt. Bald wurde das Berlin der Weimarer Zeit zwar zu seinem Lebensmittelpunkt, doch keinesfalls zu seiner Heimat. Im Oktober 1929 heiratete er die Wienerin Elise Loewy.

Nach Hitlers Machtergreifung war für ihn kein Platz mehr in Deutschland. Bevor auch seine Bücher im Mai 1933 dem Feuer überantwortet wurden, hatte er Berlin Richtung Prag verlassen. Seinen Landsmann Hitler bezeichnete er als das monströse Arschloch aus dem Innviertel“. Von Prag kehrte er nach Wien zurück.

Beim Anschluss Österreichs im März 1938 waren er und seine Frau gerade in Zürich. Wo er nicht bleiben konnte, weil man ihm dort keine Arbeitserlaubnis gab. Darum flüchteten sie nach Paris. Polgar schloss sich dort der „Ligue de l’Autriche Vivante“ an, wie neben anderen auch Joseph Roth und Franz Werfel.

Nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich gelang es dem Ehepaar Polgar mit Hilfe des Emergency Rescue Committee von Lissabon aus auf einem griechischen Dampfer in die USA zu emigrieren. Mit an Bord waren Heinrich Mann, Alma Mahler-Werfel und ihr Mann Franz Werfel.

In Amerika war Polgar vorübergehend in der Filmbranche tätig, in Hollywood bei Metro-Goldwyn-Mayer. Ab 1943 lebte er in New York, wo er nur gelegentlich in Emigrantenblättern wie Aufbau oder in der Austro American Tribune publizieren durfte. Außerdem übersetzte er hin und wieder amerikanische Theaterstücke, wie „Mein Freund Harvey“.

Nach 1949 kehrte Polgar, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, erstmals wieder nach Europa zurück, nach Paris und Zürich. Im Mai 1951 dann erneut. Nach den Gründen gefragt, antwortete er süffisant: „In Österreich ist ein empfindlicher Mangel an Klassikern ausgebrochen, und da musste ich eben aushelfen.“

1951 wurde er der erste Preisträger des von der Stadt Wien neu verliehenen „Preises für Publizistik“. Machte aber schließlich Zürich zu seiner Wahlheimat und publizierte gelegentlich wieder in verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen. Blanvalet verlegte im Oktober 1951 seine „Begegnung im Zwielicht“ und Rowohlt brachte 1954 seine Kurzgeschichten „Im Lauf der Zeit“ als Taschenbuch heraus. So flackerte sein inzwischen verblasster Ruhm vorübergehend wieder auf.

Alfred Polgar starb am 24. April 1955 in einem Züricher Hotel. Richtig heimisch geworden ist er weder in den Vereinigten Staaten noch wurde er es wieder nach seiner Rückkehr in Europa.

 

(hhb)