Alfred Kerr

Alfred Kerr (eigentlich Kempner) wurde als Sohn jüdischer Eltern am 25. Dezember 1867 in Breslau geboren. Den Namen Alfred Kerr benutzte er ab 1887 als Pseudonym für seine Publikationen. 1909 erfolgte dann eine offizielle Namensänderung, weil er nicht mit der „schlesischen Nachtigall“ und Möchtegern-Dichterin Friederike Kempner in Verbindung gebracht werden wollte.

Nach dem Abitur studierte Kempner zunächst in Breslau Geschichte, Philosophie und Germanistik. Diese Studien setzte er bald in Berlin und Halle fort, wo er 1894 promoviert wurde. Schon während seines Studiums schrieb er als Alfred Kerr Theaterkritiken und Beiträge für Die Nation, das Magazin für die Literatur des In- und Auslandes, für die Vossische Zeitung und die Neue Rundschau. Ab 1895 verfasste er seine Erzählungen aus dem Berliner Alltagsleben, die „Berliner Briefe“ für die Breslauer Zeitung und ab 1897 auch für die Königsberger Allgemeine Zeitung.

Von 1900 bis 1919 war er Theaterkritiker bei Scherls illustrierter Tageszeitung Der Tag. Er wurde Mitherausgeber und von 1912 bis 1915 alleiniger Herausgeber der von Paul Cassirer 1910 gegründeten Kunst- und Literaturzeitschrift Pan. Als Kritiker förderte Kerr Henrik Ibsen, George Bernard Shaw, Robert Musil, Ödön von Horvath, Frank Wedekind, Erwin Piscator und Gerhart Hauptmann, bis der sich nach 1933 den Nazis anbiederte. Dem Theater Max Reinhardts stand Kerr in diesen Jahren eher kritisch gegenüber. Und auch Thomas Mann, Karl Kraus und lange Zeit Bertolt Brecht.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs schrieb er unter dem „Sammelpseudonym Gottlieb“ in Der Tag einige militaristische Gedichte gegen die gegnerischen Entente-Mächte. Von 1919 bis 1933 arbeitete Kerr dann als Feuilletonist für das Berliner Tageblatt und die Frankfurter Zeitung. Seine Kritiken waren oft satirisch angelegt – primitiven Komödien bescheinigte er etwa, „sie seien bei der Premiere totgelacht worden“. 1925 solidarisierte sich Kerr zusammen mit Bertolt Brecht und Max Brod mit Johannes R. Becher, als dessen Gedichtband „Roter Marsch – Der Leichnam auf dem Thron – Die Bombenflieger“ beschlagnahmt und Becher vorübergehend ins Gefängnis gesteckt wurde. 1928 kam es zu einem Konflikt mit Karl Kraus, der dem mittlerweile demokratisch und pazifistisch engagierten Kerr seine einstigen Kriegsgedichte vorhielt. Und 1932, bis zur Entlassung des Intendanten der Berliner Funkstunde Hans Flesch, nahm Alfred Kerr in seinen Rundfunk-Glossen kompromisslos gegen die Nazis Stellung, gegen deren „deutsch-national-völkische Rückwärtserei“. „Hitler ist der Mob, der Nietzsche gelesen hat“, so sein Urteil.

 

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Im Mai 1933 wurden seine Bücher von den Nazis verbrannt und er vom „Börsenverein des Deutschen Buchhandels“ in deren Börsenblatt auf die Liste jener Autoren gesetzt, deren Werke für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten seien“. Am 25. August 1933 erschien sein Name auf einer Ausbürgerungsliste in der Vossischen Zeitung. Da war Alfred Kerr bereits Richtung Prag ins Exil gegangen, floh dann weiter über Wien nach Lugano, wo er seine Familie wieder traf. Und setzte seine Flucht fort: nach Zürich, dann nach Paris und 1935 schließlich nach London. Dort schrieb Alfred Kerr für mehrere Exilzeitungen, etwa das Pariser Tageblatt oder die Pariser Tageszeitung. Aber auch für Blätter wie Le Figaro, Le Temps und Les Nouvelles Littéraires, und später auch für die jüdische Wochenzeitung Aufbau in New York.

Das „Reichssicherheitshauptamt“ hatte ihn da bereits als gefährlichen Staatsfeind mit weiteren rund 2.800 Personen auf eine „Sonderfahndungsliste Großbritannien“ gesetzt, die nach einem Sieg über England vordringlich gesucht und „unschädlich gemacht“ werden sollten. 1938 wurde er Mitbegründer des „Freien Deutschen Kulturbundes“ und von 1941 bis 1946 war er Präsident des „Deutschen P.E.N.-Clubs“ im Londoner Exil.

Von 1945 an arbeitete er von London aus für die Neue Zeitung und Die Welt der Besatzungsmächte. Und wurde 1947 britischer Staatsbürger.

Während einer Vortragsreise durch Deutschland im Jahr 1948 erlitt er in Hamburg während einer Theateraufführung von „Romeo und Julia“ einen Schlaganfall. Weil sich sein Zustand in den folgenden fünf Wochen nicht besserte, nahm er sich am 12. Oktober mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. An seine Kinder schrieb er noch: „Ich habe das Leben sehr geliebt, es aber beendet, als es zur Qual wurde.“

1977 stiftete das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel einen Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik.

(hhb)

 

Bücher:

Deborah Vietor-Engländer: Alfred Kerr. Die Biografie; Rowohlt Verlag 2016