Sebastian Haffner

Sebastian Haffner – am 27. Dezember 1907 als Raimund Werner Martin Pretzel in Berlin geboren – war der Sohn eines Reformpädagogen, Schuldirektors und späteren Beamten im preußischen Kulturministerium. Er besuchte das Königstädtische Gymnasium am Alexanderplatz und später das Schillergymnasium in Lichterfelde. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften. Als er 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und während seiner Zeit als Assessor am Preußischen Kammergericht erleben musste, wie jüdische Juristen von SA-Trupps aus dem Gerichtsgebäude geprügelt wurden und wie altgediente Juristen ihre Unabhängigkeit aufgaben, weil sie aus Angst um ihre Pensionsansprüche sich den substanzlosen Urteilen jugendlicher NS-Juristen anschlossen, da verwarf er endgültig die Absicht, eine juristische Laufbahn im Staatsdienst einzuschlagen. Seinen Eltern zuliebe schloss er die juristische Ausbildung noch ab und schrieb seine Doktorarbeit in Paris.

Zurück in Berlin war er nur gelegentlich als Vertreter anderer Anwälte tätig und begann journalistisch zu arbeiten. Er schrieb vor allem für die unpolitischen Feuilletons der Vossischen Zeitung, der Berliner Illustrirten, für Die Koralle und Modezeitschriften wie Die Dame und Neue Modewelt, nur um ja keine NS-Propaganda verbreiten zu müssen.

 

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bpk / Ingrid von Kruse (bpk-Bildagentur, eine Abteilung der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz)

Mit einem Presseauftrag ließ er sich 1938 nach England schicken und bat dort mit Hinweis auf seine jüdische Verlobte um Asyl. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs porträtierte er den NS-Staat in Germany: Jekyll and Hyde. Ein Soziogramm als Innenansicht des Dritten Reiches, mit einer Charakterisierung der verschiedenen, den Nationalsozialisten mehr oder weniger nahestehenden Bevölkerungsgruppen. Haffner beschrieb darin auch die unterschiedlichen Möglichkeiten, diese Bevölkerungsteile propagandistisch zu beeinflussen. Vor der Veröffentlichung dieses Buches wählte er sein späteres Pseudonym Sebastian Haffner, schon um noch in Deutschland lebende Verwandte zu schützen. Sebastian in Verehrung von Bach und Haffner nach Mozarts Haffner-Sinfonie.

In den 40er Jahren schrieb er, gemeinsam mit anderen Intellektuellen wie Arthur Koestler oder George Orwell, für die angesehene Sonntagszeitung The Observer. Sein Biograph Uwe Soukup zitiert den damals ebenfalls für den Observer arbeitenden Kollegen Cyril Dünn wie folgt:

„Haffner stieß mir sofort als der Größte in der Redaktion auf. Ein typischer 'Herr Doktor' mit hoher Stirn, der auf den Redaktionskonferenzen mit gottähnlicher Autorität die Zusammenhänge beschrieb. Mit eiserner Konzentration saß er, wie aus Stein gemeißelt, an seiner Schreibmaschine und brachte seine gediegenen Leitartikel über die Weltpolitik zu Papier. Nichts konnte ihn in diesem beängstigenden Zustand stören. Doch außerhalb seiner Tätigkeit war Haffner einer der Liebenswürdigsten überhaupt, machte sich Umstände, um beispielsweise mir schmeichelnd Mut zu machen, als ich in meinen Observer-Tagen nicht so recht wusste, woran ich war.“

Haffner ließ sich nach dem Krieg in Großbritannien einbürgern. 1954 kehrte er als Korrespondent des Observers nach Berlin zurück. Wegen Meinungsunterschieden in der Berlinfrage verließ er 1961 das Blatt und schrieb in der Folgezeit für Christ und Welt sowie für Die Welt. Von 1962 bis 1975 erschienen seine wöchentlichen Kolumnen im stern sowie seine Buchbesprechungen in der Zeitschrift Konkret. Haffner war häufiger Gast bei Werner Höfers Internationalem Frühschoppen.

Nach der Spiegel-Affäre im Oktober 1962 trat er entschieden für Pressefreiheit als Grundwert der Demokratie ein. Das Vorgehen der damaligen Adenauer-Regierung hielt er für einen unverzeihlichen Rückfall. In der Panorama-Sendung vom 2. November 1962 sprach er dazu Klartext: „Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf Aufklärung dringt, dann adieu Pressefreiheit, adieu Rechtsstaat, adieu Demokratie!“

Und sympathisierte danach mit der studentischen 68er-Bewegung. Erst 1972, zur Zeit der sozial-liberalen Koalition, wurde er wieder deutscher Staatsbürger.

In seinem Stern-Artikel „Wir Emigranten“ schreibt er, wohl auch mit Blick auf den immer wieder verunglimpften Willy Brandt:

„Wir haben, immerhin, das bessere politische Urteil bewiesen, wir haben Weltkenntnis erworben; wir haben ein unbefangenes Verhältnis zur Außenwelt bewahrt; wir haben nichts zu verbergen oder zu bereuen; wir haben gelernt, wie Deutschland von außen aussieht, und können besser erkennen, wann es wieder zu entgleisen anfängt, und rechtzeitiger die Bremse ziehen. Es ist ein bisschen peinlich, das ausdrücklich sagen zu müssen. Vielleicht müssen wir uns vorwerfen, es nicht früher gesagt zu haben. Aber damals, nach 1945, wollte man schwer geschlagenen, hungernden Menschen nicht auch noch Standpauken halten. Und später war man taktvoll und ließ Vergangenes gern vergangen sein. Aber jetzt zeigt sich, dass man vielleicht zu taktvoll gewesen ist und dass das Vergangene nicht so vergangen ist, wie man dachte.“

Für den Stern verfasste er mehrere großartige historische Serien, wie „Die verratene Revolution 1918/19“, seine „Anmerkungen zu Hitler“ (1978) oder „Preußen ohne Legende“ (1979).

Sebastian Haffner starb 91-jährig am 2. Januar 1999 in Berlin.

(hhb)

 

Uwe Soukup: Ein legendärer Historiker wider Willen – in stern 27.12.2007

Volker Ulrich: Meister der Pointe - in DIE ZEIT 52/2007 vom 21.12.2007

Bücher:

Uwe Soukup: Ich bin nun mal ein Deutscher – Sebastian Haffner, eine Biographie; Fischer Taschenbuch, 2003

Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner – eine Biographie; C.H. Beck Verlag, 2010