Josef „Jupp“ Heinrich Darchinger

Josef „Jupp“ Heinrich Darchinger wurde am 6. August 1925 als Sohn eines Landwirts in Bonn-Endenich geboren. Nach dem Besuch der Volksschule machte er eine Landwirtschaftslehre und wurde 1942, kurz nach seinem 17. Geburtstag, zum Arbeitsdienst eingezogen. Im Jahr darauf musste er zur Wehrmacht in ein Panzerbataillon, wurde 1945 in Ungarn schwer verwundet, geriet zunächst in amerikanische und danach in französische Gefangenschaft. Als Kriegsgefangener wurde er im Minenräumdienst eingesetzt und musste danach als Knecht auf einem Bauernhof in den Hochvogesen arbeiten. Von dort floh er nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen an Allerheiligen 1947 zurück nach Bonn und ließ sich dort sofort zum Fotolaboranten umschulen. Nebenbei eignete er sich im Selbststudium fotografische Kenntnisse an und kaufte sich 1949 seine erste Kamera, eine Leica IIIc mit drei Objektiven.

Ab 1952 begann er als selbständiger Fotojournalist zu arbeiten; eine von ihm erfundene Berufsbezeichnung, weil er sich wegen fehlender Ausbildung nicht Fotograf nennen durfte. Erste Aufträge erhielt er von Publikationen der SPD, etwa vom Neuer Vorwärts, und von den Gewerkschaften. Ab 1964 wurde Darchinger dann Bonner Fotokorrespondent für den Spiegel und Die Zeit. Für den Spiegel wurde er zum „Auge in Bonn“.  Das Magazin druckte von den 60er Jahren an rund 10.000 seiner Fotos, unter anderem fotografierte er für mehr als tausend Spiegel-Gespräche.

 

Jupp Darchinger (links) mit F. C. Gundlach

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Copyright: ullstein bild - Zapf

Darchinger war stets präsent und lichtete Politiker bei Staatsbesuchen im Ausland ab, genau wie Staatsgäste in Bonn. Leonid Breschnew dirigierte er selbstbewusst in die richtige Position und den Schah von Persien bat er ungeniert: „Jetzt will ich einmal Zähnchen sehen, Majestät." Welche Majestät dann auch in Bonn zeigte.

Die heimischen Politiker vertrauten seinem Können und ließen ihn gern an sich heran. Er fotografierte, wie Rut Brandt ihrem Mann die Frack-Schleife geraderückte oder wie der Stasi-Agent Guillaume dem Kanzler was auch immer ins Ohr flüsterte. Helmut Schmidt öffnete ihm die Tür zu seinem Haus am Brahmsee und urteilte über Jupp Darchinger: „He is simply the best." Allein von Schmidt soll er etwa 40.000 Fotos gemacht, nein gestaltet haben.

Darchinger hat nicht nur Bilder von den Mächtigen der Bonner Republik gemacht, immer wieder hat er auch das Alltagsleben normaler Bürger und ihrer Familien dokumentiert. Spielende Kinder in zerbombten Ruinen, später dann vor Bonbon-Automaten. Frauen beim Kaffee-Kränzchen zuhause, Männer in der Kneipe. Das wöchentliche Bad im Waschzuber vorm Küchenherd und natürlich das beginnende Wirtschaftswunder. Zu besichtigen bei Neckermann auf der Frankfurter Zeil oder am Feierabend mit Musiktruhe vorm Gummibaum. Schließlich voller Stolz beim ersten Sonntagsausflug mit dem gerade gekauften Volkswagen.

Vieles erzählte er seinen späteren Betrachtern in einer etwas anderen Bildsprache - richtig beleuchtet aber durchaus mit variationsreichem Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe. Auch in Farbe und wo immer möglich vor interessantem Hintergrund. Keine Angst vor Gegenlicht. Bei Porträtaufnahmen forderte Darchinger: „Schauen Sie auf meine Haare, da werden die Augen größer“. Und er nahm sich vor solchen Aufnahmen Zeit, um im Gespräch erst einmal Vertrauen aufbauen. Ansonsten „war ich Freund der Distanz. Wer zu nah rangeht, sieht zu wenig. Man muss Abstand halten können“, gestand er in einem Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Für die SPD hat er, seit 1952 Parteimitglied, auch Fotoporträts für Wahlplakate gemacht, mit Erich Ollenhauer, Willy Brandt oder Helmut Schmidt. Nur Helmut Kohl unterstellte ihm, ihn im Auftrag des Spiegel unvorteilhaft fotografiert zu haben. Dabei gehörte es zu seinem beruflichen Ethos nie jemanden bloßzustellen.

1974 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 1987 den Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie e.V. und 1989 sein zweites Bundesverdienstkreuz, dieses Mal 1. Klasse.

Nach dem Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin zog er sich aus dem politischen Geschäft zurück. Das „Auge von Berlin“ wollte er nicht mehr werden. Joseph „Jupp“ Heinrich Darchinger, als Fotograf für die Bonner Republik eine Institution, starb am 29. Juli 2013 in seinem Heimatort Bonn. 

(hhb)

 

Ulli Kulke: Mit heutigen Politikern will er nichts zu tun haben; in Berliner Morgenpost vom 1.6.2008

"Majestät, mehr Zähne bitte!"; in WirtschaftsWoche vom 13.7.2008

Andreas Rossmann: Bonner Bildermacher; in Frankfurter Allgemeine vom 2.8.2013

Politik-Fotograf Darchinger ist tot; in ZEITonline am 2. 8.2013

 

Bücher:

Josef Heinrich Darchinger: Wirtschaftswunder. Deutschland 1952 – 1967; Taschen Verlag, 2008

Helmut Schmidt fotografiert von Jupp Darchinger; ZEIT- Verlag