Ilse Bing

Die deutsch-amerikanische Fotojournalistin Ilse Bing gehörte zu den weiblichen Pionieren ihres Berufs. Als „Königin der Leica“ konnte sie mit der neuartigen, leichtgewichtigen und einfach zu handhabbaren 35 mm-Kleinbildkamera überraschende und noch nie gesehene urbane Szenen abbilden – Bildausschnitte aus dem Nachtleben, Straßenszenen in Nahaufnahmen oder aus gewagten Perspektiven. Außerdem machte sie künstlerische Modeaufnahmen etwa für Elsa Schiaparelli und Porträts für führende Magazine in aller Welt.

Ilse Bing wurde am 23. März 1899 in Frankfurt am Main geboren, als Tochter einer wohlhabenden und säkularen jüdischen Kaufmannsfamilie. Schon in ihrer Jugend interessierte sie sich für die damals neuartige Fotografie und erhielt darum als Vierzehnjährige eine einfache Kodak-Box. Damit machte sie ihr erstes Foto, ein Selbstporträt im Spiegel eines Kleiderschranks, das im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist.

 

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Selbstporträt Ilse Bing, Frankfurt a. M. Abzug (1988) des Originals von 1913; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2015/854/0

Copyright: Estate of Ilse Bing by Michael P. Mattis

Nach ihrer Schulzeit in der Frankfurter Elisabethen- und danach Schillerschule studierte sie zunächst Mathematik und Physik, wechselte jedoch bald zu Kunst- und Architekturgeschichte an der Universität Frankfurt und in Wien. 1928 machte sie mit Hilfe ihrer ersten Kamera, einer 9 x 12 Voigtländer-Plattenkamera, Dokumentationsfotos für ihre Dissertation über den preußischen Baumeister Friedrich Gilly. Die sie allerdings vorzeitig abbrach.

Denn 1929 hatte Ilse Bing beschlossen, sich gänzlich der Fotografie zuzuwenden, angeregt von Arbeiten der französischen Fotografin Florence Henri, die gerade im Frankfurter Kunstverein ausgestellt wurden. 1992 erklärte sie diesen Schritt in einem Interview: „Ich bin nicht Fotografin geworden, sondern ich war es einfach.“ Sie kaufte sich die gerade auf den Markt gebrachte Leica, mit der sie von nun an als Autodidaktin beruflich fotografierte. Erste Reportagen veröffentlichte sie in Das Illustrierte Blatt, das von 1913 bis 1942 von der Frankfurter Societäts-Druckerei verlegt wurde, allerdings unter wechselnden Titeln, wie auch Frankfurter Illustrierte oder Neue Frankfurter Illustrierte. Und zusammen mit einigen dem Bauhaus nahestehenden Architekten beteiligte sie sich an der Foto-Dokumentation des Projekts „Neues Bauen in Frankfurt“, wobei ihr das Architekturstudium half.

Ende 1930 zog Ilse Bing nach Paris, wo sie sofort mehrere Aufträge für Bildberichte und Reportagen erhielt, von der politischen Zeitschrift VU, von Le Monde Illustré, vom Foto-Magazin Regards, dem Magazin für Männermode Adam, von der Zeitschrift des Surrealismus Documents oder vom Zweimonats-Magazin Arts et Métiers Graphiques. Die Qualität ihrer Fotoarbeiten, vor allem ihre „Schnappschussfotografien“ führten auch dazu, dass der Fotograf und Kritiker Emmanuel Sougez sie in der Zeitschrift L’Art vivant zur „Königin der Leica“ ernannte. Bing: „Ich fühlte, wie diese kleine Kamera eine Verlängerung meines Auges wurde und sich mit mir umher bewegte, mit ihr konnte ich die Dinge lebendiger werden lassen.“ 

Von da an arbeitete Ilse Bing auch für amerikanische Magazine wie Harper’s Bazar und Paris Vogue. Nach der NS-Machtübernahme im Jahr 1933 lehnte sie alle Anfragen deutscher Medien ab.

Ilse Bing suchte ständig nach neuen Fototechniken: In Paris  experimentierte sie, genau wie aber völlig unabhängig von Man Ray, mit der sogenannten Solarisation – also mit Überbelichtungen auf Schwarz-Weiß-Filmen, was dort zu einer maximalen Schwärzung des Films und so zu überraschenden Bilddarstellungen führte.

1937 heiratete sie in Paris den Pianisten und Musikhistoriker Konrad Wolff. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden Ilse Bing und ihr Ehemann vorübergehend als feindliche Ausländer im Lager Camp de Gurs interniert. Nach ihrer Freilassung verblieben sie zunächst im unbesetzten Frankreich, bis sie mit Unterstützung des ERC Emergency Rescue Committee im Juni 1941 in die USA emigrieren konnte. Ilse Bing verlor dadurch einen Großteil ihrer Werke, was sie 1989 in einem Interview so kommentierte: „Ich wünsche es niemandem, aber im Endergebnis habe ich gewonnen. Ich habe viel Materielles verloren, aber menschlich bin ich gewachsen.“

Auch in New York konnte sie an ihre Erfolge in Paris anknüpfen, obwohl sie in der amerikanischen Metropole nie so recht heimisch wurde. Dort konzentrierte sie sich auf Foto-Porträts, von Kindern oder Prominenten wie dem Ehepaar Eisenhower. Und besuchte nach dem Krieg ihre früheren Wirkungsstätten in Frankfurt am Main oder Paris. 1957 wandte sie sich der Farbfotografie zu. Doch schon zwei Jahre später beschloss sie, einen endgültigen Schlussstrich unter ihre Rolle als Fotografin zu ziehen, weil sie für sich nun kaum noch neue Entwicklungsmöglichkeiten sah. Sie meinte, als Fotografin bereits alles gesagt zu haben und wandte sich von nun an der Malerei und Schriftstellerei zu.

Ilse Bing starb am 10. März 1998 in New York.

(hhb)

 

Quellen

Theresia Ziehe: Ilse Bing – Ma première Photo / Jüdisches Museum Berlin

Heike Drummer: Ilse Bing – Königin der Leica / Frankfurter Personenlexikon

Ilse Bing: Künste im Exil

Angela Hohmann: Fotografien von Ilse Bing – Königin der Leica / Tagesspiegel vom 8.7.2019

Anke Rebbert: Fotografin Ilse Bing / Deutschlandfunk am 23.3.2024

Biografie Ilse Bing / Kunsthaus Lempertz

Ilse Bing – Biography / ICP International Center of Photography

Ilse Bing – life and work / Victoria and Albert Museum

Bücher

Juan Vicente Aliaga: Ilse Bing / MoMa-Katalog